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Österreich und der Nahe Osten «Wir Europäer müssen uns der Verantwortung bewusst sein»

Der österreichische Aussenminister Alexander Schallenberg äusserte sich im Interview mit Radio SRF zur Krise im Nahen Osten, zur proisraelischen Haltung der österreichischen Regierung und zur Frage, ob die Sicherheit Israels zur österreichischen Staatsräson gehört, wie das bei Deutschland der Fall ist. Auch zu den Gesprächen zwischen der Schweiz und der EU nimmt er Stellung.

Alexander Schallenberg

Österreichischer Aussenminister

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Alexander Schallenberg ist seit dem 6. Dezember 2021 Aussenminister Österreichs. Davor war er während zwei Monaten Bundeskanzler. Sebastian Kurz hatte ihn nach seinem Rücktritt zum Nachfolger erklärt. Der 54-Jährige hat eine Schweizer Mutter und einen Schweizer Grossvater.

SRF: Als Privatperson sind auch Sie noch immer fassungslos und schockiert über den Angriff der Hamas auf Israel vor vier Wochen. Wie schauen Sie als Politiker auf die Krise im Nahen Osten?

Alexander Schallenberg: Wir sehen als Europäer, dass wir einen Feuerring um Europa haben. Wir haben den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, wir haben eine drohende humanitäre Krise in Armenien, wir haben Spannungen zwischen Kosovo und Serbien, wir haben eine Krise in der Sahelzone, und jetzt, in aller Grausamkeit, ist die Palästinenserfrage wieder zurückgekommen. Das beunruhigt einen. Aber ich glaube, was wir jetzt versuchen, ist, mit kühlem Kopf auf diese multiplen Krisen zu reagieren.

Wir haben als Österreich lange, vielleicht zu lange gebraucht, uns der historischen Verantwortung zu stellen.

Die österreichische Regierung hat sich von Beginn an dezidiert hinter Israel gestellt. Warum?

Es gibt drei Gründe. Das eine ist unsere historische Verantwortung gegenüber Israel. Wir haben als Österreich lange, vielleicht zu lange gebraucht, uns der historischen Verantwortung zu stellen und die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte aufzuarbeiten. Heute haben wir eine breite und tiefe strategische Partnerschaft mit Israel. Zweitens ist Israel die einzige pluralistische, rechtsstaatliche Demokratie in der Region. Das kann uns als EU nicht gleichgültig sein. Israel ist Teil unserer Wertefamilie. Und drittens geht es hier um den Kampf gegen einen terroristischen Angriff, der mit 9/11 in den USA zu vergleichen ist.

Das kann uns als EU nicht gleichgültig sein. Israel ist Teil unserer Wertefamilie.

Deutschland sagt seit Angela Merkel, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson. Würden Sie das auch für Österreich sagen?

Ja, absolut. Aus den genannten Gründen. Ich glaube, gerade wir Europäer müssen uns unserer speziellen Verantwortung bewusst sein, die wir gegenüber dem israelischen Staat haben und haben sollten.

Die Hamas legt es darauf an, dass es zivile Opfer gibt.

Die Frage bleibt: Wie schützt man die Zivilbevölkerung im Gazastreifen? Wie bringt man Israel dazu, dass es sich an das humanitäre Völkerrecht hält?

Aber das ist ja gerade der Unterschied zwischen einer Terrororganisation wie der Hamas und Israel. Israel versucht nach Kräften, die Zivilbevölkerung zu schützen. Sie werfen Blätter ab, sie rufen vorher an, sie rufen zur Evakuierung auf. Die Hamas legt es darauf an, dass es zivile Opfer gibt.

Und es braucht einen politischen Prozess, der die Palästinenser miteinbezieht.

Und die Frage, was kommt danach? Israel zerstört vielleicht die Hamas. Und dann?

Das ist eine der ganz grossen Fragen, die noch ungeklärt sind. Zwei Sachen sind wichtig: Der Normalisierungsprozess mit dem Abrahams-Abkommen soll überleben können. Und es braucht einen politischen Prozess, der die Palästinenser miteinbezieht.

Zum Verhältnis Schweiz-EU. Können Sie bestätigen, dass die Sondierungsgespräche zwischen den beiden Seiten abgeschlossen sind?

Ich begrüsse die vielen erfolgten Verhandlungsrunden und, dass man – so glaube ich – bei den offenen Fragen Landezonen definiert hat.

Sie sind der Schweiz ja eng verbunden. Wenn Sie sich in die Position der Schweiz versetzen, können Sie die Skepsis gegenüber Brüssel eigentlich nachvollziehen?

Ich tue mich schwer damit; Brüssel und die Europäische Union sind nicht der Feind.

Das Gespräch führte Oliver Washington.

Samstagsrundschau, 4.11.2023, 11:30 Uhr ; 

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