Ihr Land zu verlassen, könnte für Chinesinnen und Chinesen schwieriger werden. Nur mit einem besonderen Grund dürfen sie noch ausreisen, wie die chinesische Migrationsbehörde erklärt hat. Als Grund wurde die Bekämpfung der Pandemie genannt. Was das für die Menschen in China bedeutet, erklärt SRF-China-Korrespondent Martin Aldrovandi.
SRF News: Dürfen Chinesinnen und Chinesen ihr Land grundsätzlich nicht mehr verlassen?
Martin Aldrovandi: Grundsätzlich würde ich nicht sagen. Sie dürfen ausreisen, wenn sie einen triftigen Grund haben, zum Beispiel wenn sie im Ausland studieren wollen und bereits einen Studienplatz haben, oder wenn sie einen Arbeitsplatz haben. Das müssen sie belegen können. Ferien oder Besuche im Ausland gelten offenbar nicht als Grund. Zudem werden für nicht notwendige Reisen schon seit einiger Zeit keine neuen Pässe mehr ausgestellt. Im Namen der Covid-Bekämpfung werde man diese Massnahme streng umsetzen, steht in der offiziellen Mitteilung. Inzwischen gibt es schon eine Reaktion der Migrationsbehörde. Da wird kritisiert, dass ausländische Medien hier falsch darüber berichtet hätten.
Es gibt auch Berichte, wonach Pässe zerschnitten worden seien.
Wie fallen die Reaktionen aus?
Das Thema wird gross in den sozialen Medien diskutiert, aber auch unter den Leuten, die ins Ausland gehen wollen; auch unter solchen, die keinen aktuellen Pass haben. Sie sind verzweifelt und wissen nicht, wie sie aus dem Land kommen. Es gibt auch unbestätigte Berichte, wonach sogar Pässe eingezogen bzw. zerschnitten wurden.
Das wäre einschneidend. Was berichten die Menschen über ihre Erfahrungen bei der Aus- und Einreise?
Die Rückreise ist schon lange schwierig. Es gibt kaum mehr Flüge nach China, und die, die es gibt, sind rasch ausgebucht und meistens teuer. Die Überlegung der Behörden ist wohl, dass – wenn man die Leute gar nicht ausreisen lässt – auch dieses Problem abnimmt.
Für ethnische Minderheiten in China, zum Beispiel für Tibeter, ist es schon seit Jahren schwierig bis unmöglich, ins Ausland zu reisen.
Das sind besorgniserregende Entwicklungen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es für ethnische Minderheiten in China, beispielsweise Tibeter und Uiguren, schon seit Jahren schwierig bis unmöglich ist, überhaupt ins Ausland zu reisen. Viele von ihnen erhalten keinen Pass. Nun betrifft es eben auch viele Chinesinnen und Chinesen, also die ethnische Gruppe, die hier in der Mehrheit ist.
Man befürchtet, dass die Abschottung des Landes nach der Pandemie bleibt oder sogar noch zunimmt?
Ja, es ist schon länger so, dass sich China stark nach innen besinnt. Einerseits ist es für die meisten Ausländerinnen und Ausländer kaum möglich, nach China zu reisen. Andererseits versucht man sich auch wirtschaftlich mehr aufs eigene Land zu fokussieren. Weiter nimmt die Zensur schon eine Weile zu. Auch haben mehrere chinesische Universitäten angekündigt, nicht mehr bei internationalen Rankings mitmachen zu wollen. Das alles sind Hinweise, dass man sich verstärkt vom Ausland distanziert.
Die Mitteilungen der Behörden in China sind oft kurzgehalten. Es ist manchmal unklar, was sie in der Praxis genau bedeuten. Was heisst das für die Bevölkerung?
Die Leute sind sich gewohnt, dass man zwischen den Zeilen lesen muss. Man hat es beim Lockdown in Schanghai gesehen. Erst hiess es, das seien nur bösartige Gerüchte, offiziell wurde alles zurückgewiesen. Dann kam ein paar Tage später doch ein Lockdown. Erst hiess es, er dauere fünf Tage. Doch bei mir dauert er nun schon sieben Wochen, bei anderen zum Teil schon zwei Monate. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen bei Behördenankündigungen vorsichtig sind.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.