Dabei sein ist alles: Das Motto der Olympischen Spiele ist wahrlich völkerverbindend. Meist geht es aber nur dem Kugelstosser von den Fidschi-Inseln oder der Abfahrerin aus Mexiko über die Lippen.
Denn Olympia ist «Serious Business»: Für die Athletinnen und Athleten selbst, die sich über Jahre auf ihren Aufritt vor den Augen der Welt vorbereiten. Nicht weniger hart wird der Wettbewerb der Nationen geführt.
Gebannter Blick in den Medaillenspiegel
Die Sowjets und Amerikaner machten aus dem «Fest der Völker» einen Kampf der Systeme. Auch um die Vormachstellung im Medaillenspiegel fand ein Wettrüsten statt. Bald trat auch China auf den Plan.
Bei den jüngsten Spielen in Paris sammelte die Delegation des Riesenreichs 40 Goldmedaillen – genauso viele wie die USA. Die Amerikaner entschieden das sportliche Ringen aber für sich: Sie holten insgesamt mehr Edelmetall als China.
Ab heute bietet sich China die Gelegenheit zur Revanche. An den Paralympics in Paris will es zur erfolgreichsten Nation werden – wie schon bei den letzten Spielen in Tokio. Dass Peking schon Kinder auf Medaillen drillt, ist bekannt. Doch es investiert auch massiv in den Behindertensport – und ist inzwischen zum Dominator aufgestiegen.
Medaillen stehen für China – wie schon in der DDR oder der Sowjetunion – für den politischen und ökonomischen Erfolg des Staates.
Begonnen hat die Entwicklung 2001, als China den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2008 erhielt. Unter Hochdruck versuchte die Zentralregierung damals, auch für die Paralympics eine schlagkräftige Delegation aufzubauen.
«Dafür nutzte sie ein bestehendes Netzwerk aus Spitälern, Nachbarschaftshilfe und Wohltätigkeitsorganisationen», schildert der Journalist Ronny Blaschke. «Dort ‹sichtete› man behinderte Menschen und begutachtete sie nach ihrer Grösse, ihren Körpermassen und ihrer Kraft.» Die Auserkorenen erlebten in der Folge den gleichen sportlichen Drill wie alle anderen Olympioniken.
Innerhalb der paralympischen Szene werde Chinas generalstabsmässige Rekrutierung beargwöhnt, berichtet Blaschke. «Es ist kein schönes Wort, aber Sportler aus anderen Ländern sprechen von einem riesigen ‹Menschenpool›, auf den das Land zugreift.»
Die Kritik: China gehe es lediglich um die Produktion von Medaillen – und nicht um eine gesellschaftlich bewusste Förderung des Behindertensports.
Von Erfolgen an den Paralympics verspricht sich die Regierung Prestige: «Medaillen stehen für China – wie schon in der DDR oder der Sowjetunion – für den politischen und ökonomischen Erfolg des Staates», sagt Blaschke. «Und in wenigen Bereichen des Sports kann China seine Widersacher so dominieren wie bei den Paralympics.»
Botschaft an die Bevölkerung
Peking richtet den Blick aber auch nach innen: «Es möchte zeigen, dass Menschen mit Behinderung genauso zur Gesellschaft gehören.» Denn die Sensibilität für die Bedürfnisse behinderter Menschen sei in China weniger ausgeprägt als in anderen Teilen der Welt.
Gleichzeitig altert die Gesellschaft und es gibt immer mehr pflegebedürftige Menschen. «China hat kein so gut ausgebautes Pflege- und Gesundheitssystem wie Europa und Nordamerika», sagt Blaschke. «Das Land ist darauf angewiesen, dass Menschen mit Behinderung in der Familie betreut werden.»
Entsprechend viel Platz wird paralympischen Erfolgsmeldungen in den Staatsmedien eingeräumt. Dass China den Geist der Paralympics mit seiner «Medaillenproduktion» würdigt, bezweifelt der deutsche Journalist aber.