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Parteitag in Berlin Neue SPD-Führung ist eine Chance

«Wir müssen den alten Stil überwinden, dass wir Ego-Shooter und Einzelkämpfer haben, die glauben alles zu wissen.» Deutliche Worte des Generalsekretärs Lars Klingbeil zu Beginn des SPD-Parteitages in Berlin.

Die SPD hat den Neustart dringend nötig. Gefangen im Umfragetief dümpelt sie zwischen 13 und 15 Prozent Wähleranteil herum und schafft es nicht, die Regierungsbeteiligung für sich zu nutzen. Zuletzt entschied sich die Partei für ein Experiment: Sie liess sieben Kandidatenpaare monatelang durchs Land tingeln, um so ein neues Chef-Duo zu suchen – und zu finden.

Nach oben katapultiert

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen es nun richten, sollen den inhaltlichen und personellen Neuanfang verkörpern. Sie ist eine relativ unerfahrene Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg ohne klassische Politkarriere, Er ist ehemaliger Finanzminister in Nordrhein-Westfalen und bis vor kurzem im Quasi-Ruhestand.

Sie wurden ganz nach oben katapultiert, in die höchste Machtebene der Partei, für viele in der Berliner Blase – Politiker und Journalisten gleichermassen – völlig unerwartet. Die können noch immer nicht fassen, dass zwei Aussenseiter die Wahl um den SPD-Parteivorsitz für sich entschieden haben.

Auch Drahtzieher in der Pflicht

Zugegeben, die Konkurrenz war nicht überragend. Als einziges Schwergewicht war Olaf Scholz spät ins Rennen um den Parteivorsitz eingestiegen. Der Mann ist Vizekanzler und Finanzminister und schaffte es aus dieser Pole Position nicht, seine Partei zu überzeugen, ihn an die Spitze zu wählen. Ein klareres Zeichen für einen Neuanfang hätten die SPD-Mitglieder nicht setzen können.

Nun müssen die beiden Neuen liefern und Juso-Chef Kevin Kühnert gleich mit ihnen. Er gilt als Drahtzieher ihrer Wahl; zumindest hatte er ihre Kandidatur von Anfang an unterstützt und das Duo damit zu Favoriten gemacht. Dass er sich am Parteitag zu deren Vize wählen liess, ist nur konsequent. Sie können seine Hilfe gebrauchen.

Chance für CDU-Chefin?

Denn ihnen stehen schwierige Verhandlungen bevor. Wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht umgehend verlieren wollen, dann müssen sie entweder die CDU/CSU zu weiteren Kompromissen im Koalitionsvertrag bewegen oder die Grosse Koalition verlassen.

Ersteres dürfte schwierig werden. Die Union steckt selbst in einer Krise, und CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer könnte weitere Zugeständnisse an die Sozialdemokraten der eigenen Partei nur schwer vermitteln. Vielleicht ist das neue Duo an der Spitze der SPD AKKs Chance, die Koalition ohne Gesichtverlust platzen zu lassen.

Alles andere als extrem links

Dabei sind einige der Forderungen, mit denen Esken und Walter-Borjans nun in «Gespräche» mit der Union steigen wollen, alles andere als extrem links. Zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur zum Beispiel, finanziert mit neuen Schulden. Die Idee wird von führenden Ökonomen propagiert, sogar der deutsche Arbeitgeberverband wirbt dafür.

Oder Nachbesserungen beim Klimaschutz. Klima-Experten und Ökonomen sind sich einig: Ein CO2-Preis, wie ihn die Regierung in ihrem Klima-Gesetz vorsieht, wird kaum Wirkung erzielen und mit Sicherheit nicht dazu führen, dass die Bundesrepublik ihre selbstgesteckten Klimaziele erreicht. Eine Erhöhung des CO2-Preises scheint sinnvoll.

Angst vor Machtverlust

Doch geht es in der Politik eben nicht nur um Inhalte. Es geht um Macht und die Angst vor deren Verlust, um alte Symmetrien und das Klammern an eine Vergangenheit, in der zwei Volksparteien die Sache untereinander ausmachten.

Die neue SPD-Spitze könnte eine Chance sein. Nicht nur für die Genossinnen selbst, sondern für das Land. Statt auf einen Heilsbringer zu warten, der nicht kommen wird, könnte zumindest ernsthaft diskutiert werden, wohin Deutschland steuern will. Es ist höchste Zeit dafür.

Bettina Ramseier

Deutschland-Korrespondentin, SRF

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Bettina Ramseier ist SRF-Korrespondentin in Berlin. Sie ist seit 15 Jahren TV-Journalistin: Zuerst bei TeleZüri, danach als Wirtschaftsredaktorin bei SRF für «ECO», die «Tagesschau» und «10vor10».

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