«Warum gerade dort?», fragen sich viele: Das Gelände der ehemaligen britischen Münzstätte, wo einst Pounds und Pennys geprägt wurden, liegt unweit der Themse, mitten im Herzen von London. Vor einigen Jahren hat China das Areal für umgerechnet rund 270 Millionen Franken gekauft.
Nicht der benachbarte Tower – hier werden die britischen Kronjuwelen aufbewahrt – bereitet den Geheimdiensten Sorgen, sondern die unmittelbare Nähe zu den grossen Banken der City of London.
Die Gefahr, dass die Datenleitungen des Finanzplatzes London von China angezapft werden, ist so gross wie real.
Der frühere konservative Innenminister Chris Philp warnte kürzlich gegenüber Journalistinnen und Journalisten, die neue Botschaft könnte mehr werden als nur eine diplomatische Vertretung: «Dieser Neubau könnte ein Zentrum für Chinas Spionageaktivitäten in Europa werden. Besonders heikel ist die Nähe zum Finanzplatz von London.»
Dessen Datenleitungen führten mehr oder weniger direkt unter den Kellerräumen der Botschaft durch. «Die Gefahr, dass diese von China angezapft werden, ist so gross wie real.»
Zerrüttetes Verhältnis zu Peking
Das Verhältnis zwischen London und Peking ist nicht erst seit der Publikation der Baupläne für die neue Botschaft zerrüttet. Vor zwei Jahren informierte der damalige stellvertretende Premierminister Oliver Dowden das Unterhaus, der britische Geheimdienst habe chinesische Spionagesoftware auf den Computern von Mitgliedern des Parlaments gefunden.
Zudem gebe es Hinweise, dass chinesische Akteure Daten aus dem britischen Wahlregister entwendet hätten. Es waren alarmistische Töne. Und diese sind bis heute nicht verstummt. Einige Parlamentarier, welche die Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren und die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong kritisieren, wurden in China mit Einreisesperren belegt.
London müsste mit Retourkutschen rechnen
Und gerade macht der Fall eines ehemaligen Mitarbeiters der Parlamentsdienste Schlagzeilen, der im Westminster-Palast für China spioniert haben soll. Das alles ist für viele ein Grund, die Baubewilligung für die neue Botschaft abzulehnen.
Die Beziehung zwischen Grossbritannien und China könnte sehr unangenehm werden.
Doch ein früherer hochrangiger Berater der chinesischen Regierung machte gegenüber «Times Radio» klar, was eine Ablehnung nach sich ziehen könnte. «Ich hoffe doch sehr, dass die britische Regierung keine Dummheiten macht. Die Beziehung zwischen Grossbritannien und China könnte sehr unangenehm werden.»
Immerhin sei China eine führende Wirtschaftsnation und eine wachsende Militärmacht. «Ein solcher Affront würde nicht ohne Konsequenzen bleiben.»
Der wirtschaftliche Aufschwung ist gefährdet
Für die britische Regierung, in deren Händen die Genehmigung liegt, ist die Situation herausfordernd. Wenn Premierminister Keir Starmer sein Wahlversprechen umsetzen will, die Wirtschaft anzukurbeln, ist er auf einvernehmliche Beziehungen mit China angewiesen.
Auf der anderen Seite warnen Geheimdienste und Opposition, die nationalen Sicherheitsinteressen nicht zu gefährden. Der Entscheid ist deshalb ein politischer Hochseilakt: Denn er könnte nicht nur das Stadtbild im Herzen von London verändern, sondern auch das Verhältnis zwischen Grossbritannien und China nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen.