Rund 100 Jahre lang lagerten Artefakte der indigenen Völker aus Kanada in Rom. Nun hat ein sensibler Prozess der Rückführung begonnen. Eine Maschine der Air Canada hat dutzende kulturell bedeutsame Gegenstände aus dem Vatikan nach Montreal zurückgebracht. Der freie Journalist Gerd Braune ordnet ein, was zurückgekommen ist und warum die Objekte für indigene Gemeinschaften weit über ihren materiellen Wert hinausgehen.
SRF News: Was ist über die Gegenstände bekannt?
Gerd Braune: Es handelt sich um 62 Artefakte wie Perlen, bestickte Handschuhe, ein Trageband für Babys und Kleinkinder. Besonders auffällig ist ein grosses Kajak: viereinhalb Meter lang und aus Robbenfell hergestellt. Alle Gegenstände und eingeflogenen Pakete werden jetzt im Museum in Ottawa untersucht.
Für die indigenen Völker sind die Objekte nicht einfach Gebrauchs- oder Kulturgegenstände. Sie sagen: ‹Das sind unsere Vorfahren.›
Warum waren diese Dinge überhaupt im Vatikan?
Der damalige Papst, Papst Pius XI. hatte Missionare aus aller Welt nach seiner Wahl zum Papst 1922 gebeten, religiöse und nichtreligiöse Gegenstände, die von indigenen Völkern hergestellt worden waren, für eine Ausstellung in den Vatikan zu senden. 1925 fand dann eine grosse Ausstellung zur Missionarstätigkeit statt. Tausende Gegenstände wurden nach Rom geschickt. Allein aus Kanada sollen es bis zu 10'000 gewesen sein, weltweit vielleicht 100'000. Nur ein Teil wurde gezeigt. Nach der Ausstellung wanderten diese Gegenstände in Archive und Tresore. Heute sind sie Teil der ethnologischen Sammlung des Vatikans. Nun stellt sich die Frage, was mit diesen Stücken passiert.
Warum sind diese Gegenstände für Kanadas indigene Völker so wichtig?
Sie repräsentieren einen wichtigen Teil ihrer Kultur und ihrer Geschichte. Das Robbenfell-Kajak zum Beispiel: Damit gingen die Inuit auf dem Polarmeer auf die Jagd, haben Wale erlegt. Es ist im Grunde genommen die Basis für die Jagd nach Lebensmitteln. Für die indigenen Völker sind diese zurückgekommenen Objekte nicht einfach Gebrauchs- oder Kulturgegenstände. Sie sagen: «Das sind unsere Vorfahren.» Sie werden dazu beitragen, die Kultur und Identität zu erhalten und zu stärken, zum Teil auch wiederzubeleben.
Was passiert nun mit den Gegenständen?
Alle Objekte kommen ins Museum für Geschichte in Ottawa. Dort werden Fachleute sie begutachten, katalogisieren und falls möglich ihrer ursprünglichen Gemeinde zuordnen. Vor 100 Jahren wurde oft nicht genau festgehalten, woher ein Stück stammt. Indigene Völker und ihre Repräsentanten sind an diesen Prozessen beteiligt. Danach wird man entscheiden, was mit den Gegenständen geschieht, ob und wie sie in ihre Gemeinden zurückgeführt werden. Es ist noch ein langer Prozess.
Viele weitere Gegenstände liegen noch im Vatikan.
Von den indigenen Völkern heisst es, diese Rückgaben seien höchstens der Anfang. Was heisst das genau?
Viele weitere Gegenstände liegen noch im Vatikan, zum Beispiel ein Wampum. Diese Gürtel dienten als Friedensvertrag zwischen den indigenen Völkern und den einströmenden Europäern. Er war nicht Teil dieser Rücksendung. Viele weitere für die First Nations, Inuit und Métis bedeutsame Gegenstände lagern im Vatikan, die diese Völker zurückhaben möchten.
Das Gespräch führte Nico Bär.