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Politischer Gefangener Alexej Nawalny zu 19 Jahren Haft verurteilt

  • Ein russisches Gericht hat Kremlkritiker Alexej Nawalny zu einer weiteren Haftstrafe von 19 Jahren verurteilt.
  • Er wurde unter anderem wegen Anstiftung und Finanzierung «extremistischer Aktivitäten» sowie Gründung einer «extremistischen Organisation» schuldig gesprochen.
  • Der 47-Jährige befindet sich seit 2021 in Haft.

Ob die 19 Jahre Haft mit der vorherigen Strafe verrechnet werden, ist noch nicht klar. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch erklärte der Deutschen Presse-Agentur, dass mit dem Urteil die Gesamtlänge der Haftdauer gemeint sein sollte; also dass die neun Jahre Straflager, zu denen Nawalny bereits verurteilt wurde, mit eingerechnet seien. Es bleibe aber das schriftliche Urteil abzuwarten, sagte sie.

Kurzeinschätzung von SRF-Russlandkorrespondent Christof Franzen

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«Alexej Nawalny hatte schon im Vorfeld der heutigen Urteilsverkündung gesagt, dass er mit einem Verdikt wie zu Stalins Zeiten rechne. Tatsächlich sind 19 Jahre eine absurd hohe Strafe für einen, der international als unschuldig und als politischer Gefangener gilt.

Dieses und andere Urteile der letzten Zeit – zum Beispiel die 25-jährige Haftstrafe für den Politiker und Journalisten Wladimir Kara-Mursa – machen eines klar: Der Kreml will kritische Geister klar von Protesten und Kritik abschrecken. Wer korrupte Machenschaften aufzeigt und im Westen Sanktionen fordert gegen russische Beamte und Politiker, lebt hoch gefährdet. Ob Nawalny und insbesondere der gesundheitlich angeschlagene Kara-Mursa lebend aus der Haft kommen, ist fraglich.

Einen Massenterror wie zu Stalins Zeiten sieht man in Russland derzeit trotzdem nicht. Wer nicht protestiert oder kritisiert, kann ein relativ freies Leben führen. Aber auch die Passiven werden trotzdem immer häufiger mit dem Kriegskurs der Regierung konfrontiert. So drohen jungen Männern Aufgebote für die Armee. Und die offizielle russische Version für die ‹militärische Spezialoperation› in der Ukraine wird auch in der Schule immer öfters verbreitet.»

Nawalnys Team im Exil erklärte, dass die Strafe in einem Lager unter besonderen Haftbedingungen abgesessen werden solle, die noch strenger seien als die in der bisherigen Kolonie. Nawalny sei wie ein «König» lächelnd ohne Fesseln allein in den Saal gekommen, kommentierten seine Mitarbeitenden, die sich im Exil in der EU aufhalten, bei einer Livesendung bei Youtube. Sein Bruder Oleg Nawalny, der selbst schon inhaftiert gewesen war, sagte, dass Alexej in guter «moralischer und physischer Verfassung» sei.

Eine Fotografie eines Bildschirms, auf dem Alexej Nawalnys zu sehen ist. Er steht an einer Reihe von Tischen.
Legende: Alexej Nawalny nahm das Urteil gelassen auf. Er hatte das Strafmass erwartet. REUTERS/Evgenia Novozhenina

Seine Unterstützerinnen und Unterstützer kritisierten, dass der Prozess nicht vor dem Moskauer Stadtgericht, sondern direkt in Nawalnys Strafkolonie im 260 Kilometer von Moskau entfernten Melechowo abgehalten wird. Dort versammelten sich vereinzelt Aktivisten, um den Oppositionsführer zu unterstützen.

Internationale Kritik an Urteil

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Die UNO, die EU und die USA haben die sofortige Freilassung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny gefordert. UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk schrieb in einer Mitteilung, die Schikane durch die Justiz sei besorgniserregend – Russland solle die Menschenrechtsverletzungen an Nawalny einstellen und ihn freilassen.

EU-Ratspräsident Charles Michel sprach von einem inakzeptablen Urteil, das US-Aussenministerium von einem ungerechten Abschluss eines ungerechten Prozesses. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock schreibt von Willkürjustiz .

Bereits am Donnerstag hatte Nawalny erklärt, er rechne mit einer Strafe knapp unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten 20 Jahren. Er liess über Verbündete zudem ausrichten, dass das neue Urteil gegen ihn der gesellschaftlichen Einschüchterung diene. Es solle die kritischen Teile der russischen Bevölkerung davon abhalten, sich öffentlich gegen Putin und Russlands Krieg in der Ukraine zu stellen.

Giftanschlag überlebt

Nawalny und seine Unterstützerinnen haben in sozialen Netzwerken immer wieder Korruption und Machtmissbrauch von Putin und seinen Gefolgsleuten angeprangert. Nawalny hat die russische Führung wiederholt als «Schurken und Diebe» bezeichnet. Seine Unterstützer setzten die Arbeit auch nach seiner Inhaftierung fort. Im Juni hatte Nawalny aus der Haft heraus eine neue Kampagne gegen Putin angekündigt.

Menschenrechtler weisen immer wieder auf die angeschlagene Gesundheit Nawalnys hin. Dieser überlebte im Sommer 2020 nur knapp einen Nervengiftanschlag. Nawalny wirft dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB und Präsident Wladimir Putin vor, hinter dem Mordanschlag zu stecken. Der Kreml dementiert das. Nach einer Behandlung in Deutschland kehrte Nawalny damals in seine Heimat zurück. Noch am Flughafen wurde er festgenommen.

Repression in Russland nimmt zu

Russland führt seit mittlerweile mehr als 17 Monaten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. In diesem Zeitraum hat die russische Führung auch im eigenen Land Repressionen gegen Kritiker massiv verstärkt.

Neben Nawalny sind in russischen Straflagern noch zahlreiche weitere Oppositionelle inhaftiert, die international als politische Gefangene eingestuft werden. Erst vor wenigen Tagen etwa wurde gegen Wladimir Kara-Mursa das harte Urteil von 25 Jahren Straflagerhaft bestätigt. Es ist die bisher höchste Haftstrafe gegen einen Regierungskritiker in Russland.

SRF 4 News, 04.08.2023, 15:30 Uhr ; 

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