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Präsidentenwahl im Iran Nach Raisis Wahlsieg sind die Hardliner unter sich

Ebrahim Raisi wird Irans neuer Staatspräsident – wenig überraschend, in einer Wahl, zu der kein ernsthafter Konkurrent zugelassen worden war. Er ist ein Mann des Apparats, ohne Charisma, Raisi besetzte über mehrere Jahrzehnte Schlüsselstellen in der Justiz des Landes und ist mitverantwortlich für die Repression. Und doch setzt das Establishment auf ihn im Versuch, Iran aus seiner tiefen Wirtschaftskrise zu holen – und das islamistische System aus seiner schweren Legitimitätskrise.

Der Erste, der Raisi gratulierte, war Hassan Rohani, der bisherige Staatspräsident. Rohani hatte viel versprochen und wenig gehalten. Die vielen Millionen, die in den letzten beiden Wahlen ihre Stimme dem «Reformer» gegeben hatten in der Hoffnung auf Öffnung, wurden bitter enttäuscht.

Das Scheitern der Moderaten

Dennoch trägt der abtretende Staatspräsident nicht die Hauptschuld an der Krise. Donald Trump half mit, das Lager der Moderaten um Rohani zu demontieren. Er brach 2018 das internationale Atomabkommen und belegte Iran mit Wirtschaftssanktionen in nie dagewesener Härte. Dies in der Absicht, das islamistische Regime in die Knie zu zwingen. Die Währung zerfiel, Millionen Menschen wurden arbeitslos. Das Regime blieb. Rohani aber, der sich vom Atomabkommen den Anschluss an die Weltwirtschaft erhofft hatte, wurde von den Hardlinern in Iran umso mehr als «naiv» verspottet und für alle Übel des Landes verantwortlich gemacht.

Dabei sind grosse Teile der iranischen Volkswirtschaft unter der Kontrolle der «Revolutionsgarden» oder von religiösen Stiftungen, die allein Revolutionsführer Khamenei Rechenschaft ablegen müssen. Auch wird die Wirtschaft zerfressen von massiver Korruption. In diesem undurchsichtigen System zieht nicht der Staatspräsident, sondern der Revolutionsführer alle Fäden. Raisi ist sein treuer Gefolgsmann.

Gewaltige Herausforderungen

Die Herausforderungen, die auf den 60-Jährigen warten, sind gewaltig. Die Jungen fragen sich, wie sie einen Job finden, eine Familie gründen, überhaupt irgendeine Perspektive haben können. Sterile Kampfparolen und islamistische Moralvorschriften werden dabei nicht helfen. Der konservative Kleriker versprach im Wahlkampf, er werde gegen die grassierende Korruption und für soziale Gerechtigkeit kämpfen. Es wird auch neue Formen der internationalen Zusammenarbeit brauchen, wenn Iran aus der Not herausfinden will, bei aller ideologischen Feindschaft gegenüber dem Westen.

Raisi hat zu verstehen gegeben, dass er die laufenden Verhandlungen in Wien über eine Rückkehr zum Atomabkommen nicht torpedieren werde. Die Aufhebung schon eines Teils der Wirtschaftssanktionen brächte dringend nötige Linderung. Das System der «islamischen Republik» wird unter dem linientreuen neuen Regierungschef in seinen inneren Widersprüchen gefangen bleiben. Die Schuld für die Zustände aber wird das Lager der Hardliner nicht mehr abschieben können: Letztes Jahr machte es bereits bei den Parlamentswahlen am meisten Stimmen – nun sind sämtliche Institutionen des Staates, gewählte und nicht gewählte, unter seiner Kontrolle.

Philipp Scholkmann

Auslandredaktor

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Auslandredaktor Philipp Scholkmann war langjähriger Nahost-Korrespondent von Radio SRF. Vor seiner Tätigkeit im Nahen Osten war er Korrespondent in Paris und Moderator beim «Echo der Zeit».

SRF 4 News, 19.06.2021, 09:00 Uhr

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