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Proteste in Bulgarien EU-Gelder werden in den Taschen der Politiker verschwinden

Zweimal schon ist Ministerpräsident Bojko Borissow als Regierungschef zurückgetreten (2013 und 2017). Doch diesmal will «Bruder Bojko», ein ehemaliger Polizeibeamter, Karatekämpfer und Bodyguard, bleiben. Nach dreizehn Tagen Dauerprotest in Sofia und anderen Städten Bulgariens. Dass sich auch Staatspräsident Rumen Radew für einen Rücktritt der Regierung ausgesprochen hat, ändert daran nichts.

Ein Bild wie aus einem Gangsterfilm

Der Präsident und die Demonstrierenden haben die Nase voll von den vielen Korruptionsskandalen. Für viele von ihnen ist der nationalistisch-konservative Regierungschef Borissow ein Strohmann der allmächtigen bulgarischen Oligarchen. Vor ein paar Tagen tauchten Fotos von Borissow auf, auf denen der Ministerpräsident schlafend auf seinem Bett zu sehen war. Auf dem Nachttisch eine Pistole, im Nachttisch dicke Bündel von Bargeld und einige Goldbarren. Ein Bild wie aus einem Gangsterfilm.

Vor einer Woche traten drei Minister zurück, doch die Proteste gingen weiter. Auch die überstandene Vertrauensabstimmung im Parlament stoppte die Proteste nicht. Am Donnerstag wollen die drei Regierungsparteien diskutieren, was zu tun ist. Eine weitere Regierungsumbildung oder sogar der Rücktritt von Regierungschef Borissow stehen im Raum. Borissow würde wohl nach dem Rücktritt hinter den Kulissen weiterhin die Fäden ziehen. Den Generalstaatsanwalt muss er nicht fürchten, dieser ist ein guter Freund von ihm und ein Teil des Korruptionsproblems.

29 Milliarden Euro von der EU

Seit Jahren steht das Land im europäischen Korruptions- und Pressefreiheitsranking an letzter Stelle. Die Korruptionsaffären in Bulgarien sind ohne Zahl: Die Abzweigung von EU-Geldern bei öffentlichen Bauprojekten. Der illegale Verkauf von Pässen an Mazedonier und Kosovaren. Der trickreiche Raub ganzer Industrieunternehmen durch die Mafia, in engster Zusammenarbeit mit korrupten Behörden. Viel Empörung, doch bisher keine Konsequenzen.

Warum Borissow diesmal nicht zurücktreten will, ist nicht nur für die Demonstranten klar. Aus dem neuen EU-Hilfspaket von 1.8 Billionen Euro erhält Bulgarien sagenhafte 29 Milliarden. Und das für ein Volk von nur sieben Millionen Einwohnern. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass ein beträchtlicher Teil dieser Gelder in den nächsten Monaten in den Taschen der Oligarchen und Politiker verschwinden wird.

Wahlen sind erst im März geplant

Genau das möchten die Demonstrierenden in Bulgarien verhindern. Doch Wahlen sind erst im März nächsten Jahres geplant. Die Präsidentin des bulgarischen Parlaments, Zweta Karajantschewa, schliesst den von Demonstranten geforderten Rücktritt der Regierung aus. Angesichts der Corona-Pandemie und der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise wäre die Lage ohne ein funktionierendes Parlament sehr kompliziert, warnte Karajantschewa.

Die Europäische Union zeigt sich derzeit stolz über ihr 1.8 Billionen Euro schweres Hilfspaket. Doch für einige Staaten in Osteuropa ist das Geld vor allem eine strukturerhaltende Massnahme für die korrupte Politikerkaste.

Peter Balzli

Österreich- und Osteuropa-Korrespondent

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Peter Balzli hat Wirtschaft und Medienwissenschaften in Bern und Berlin studiert. Danach absolvierte er die Ringier-Journalistenschule und begann 1995 beim SRF zu arbeiten. Bevor er zwischen 2001 und 2013 als SRF-Korrespondent aus Paris und London berichtete, arbeitete Balzli 2000 bis 2001 als Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Seit 2016 ist Peter Balzli Österreich- und Osteuropa-Korrespondent.

Rendez-vous, 21.07.2020, 12:30 Uhr

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