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Proteste in den USA Die Uni-Proteste schaffen viele Verlierer – und einen Gewinner

Es gehört zu den nobelsten Aufgaben einer Universität, die freie Meinungsbildung und die Diskussion zu pflegen. Gerade amerikanische Elite-Universitäten wie die Columbia stehen dafür. Dass junge Menschen gegen die Regierung und einen Krieg protestieren, muss möglich sein. Es ist nicht das erste Mal. Man erinnere sich an die Vietnam-Proteste in den 60er-Jahren. Doch bei diesen Protesten gegen den Krieg in Gaza ist einiges anders – und sie dürften viele Verlierer produzieren.

Die Demonstrierenden wollen die palästinensische Zivilbevölkerung unterstützen und den Krieg in Gaza kritisieren. Doch im Rahmen der Proteste kam es auch immer wieder zu antisemitischen Äusserungen. Die Universitätsleitungen müssen dafür sorgen, dass sie nicht Brutstätten für Antisemitismus werden und sich jüdische Studierende sicher auf dem Campus bewegen können. Sie müssen die Meinungsfreiheit schützen, aber gegen Antisemitismus einschreiten. Dabei machen sie es niemandem recht.

Die meisten wollen nur studieren

Gleichzeitig sind die Leitungen von US-Universitäten seit langem im Visier von konservativen Politikern, die sie schwächen wollen. Die Unis seien zu links, zu «woke», also zu achtsam etwa gegen Diskriminierung. Nun nutzen Republikaner die Krise politisch, werfen den Universitäten vor, blind zu sein gegen Antisemitismus. Zwei Universitäts­präsidentinnen mussten bereits gehen. Verliererin ist die akademische Unabhängigkeit.

Verlierer sind auch viele Studenten und Studentinnen. Die meisten wollten einfach studieren, sagt mir eine Studentin an der Columbia. Wer in einem mittelständischen US-Vorort lebt, weiss, wie gross der Leistungsdruck ist, um an einer guten Uni angenommen zu werden, ganz zu schweigen von den gigantischen Kosten. Viele junge Menschen haben während der Pandemie angefangen zu studieren und nun droht ihre Graduationsfeier ins Wasser zu fallen.

Proteste schaden Biden

Verlierer ist auch Präsident Biden. In der aufgeladenen Debatte um den Krieg in Gaza stösst er beide Seiten seiner Wählerschaft vor den Kopf. Während die einen «Genozid-Joe» rufen, ist ein grosser Teil der Amerikaner nach wie vor dafür, Israel zu unterstützen.

Gemäss einer aktuellen CNN-Umfrage ist Zustimmung zu seiner Israel-Politik gesunken und liegt jetzt bei desolaten 28 Prozent. Dazu schaden Biden die Bilder von besetzten Uni-Gebäuden bei gemässigten Wählerinnen und Wählern, die sich Recht und Ordnung wünschen.

Es ist fraglich, ob die Proteste der Bevölkerung in Gaza helfen. Die Protestierenden verlangen meist, dass die Hochschulen sich von Investitionen in Firmen mit Verbindung zu Israel trennen. Das ist schwierig umzusetzen und hätte kaum einen Effekt auf den Krieg. Vor allem richtet sich die Forderung nicht nur gegen die Regierung Netanjahu oder den Krieg, sondern allgemein gegen alle, die mit Israel Geschäftsbeziehungen haben.

Gewinner ist Donald Trump

Die Biden-Regierung arbeitet seit Monaten mit Hochdruck an einer Waffenruhe und mehr humanitärer Hilfe. Nur ist ihr Einfluss auf die israelische Regierung begrenzt, geschweige denn auf die Hamas. Die Frage ist nun, ob der zusätzliche innenpolitische Druck auf Biden die Situation für die Bevölkerung in Gaza verbessert oder im Gegenteil den Einfluss der US-Regierung schwächt. Die Hamas sieht sich in ihrer Verhandlungsposition wohl gestärkt.

Noch ist es lange bis zur US-Wahl. Biden kann hoffen, dass eine Waffenruhe in Gaza gelingt und die Proteste in den Sommerferien abflauen. Derzeit gibt es vor allem einen Gewinner: Donald Trump. Falls er Präsident wird, hat Trump klar gemacht, dass er nicht auf der Seite von protestierenden Student:innen und nicht auf der Seite der Palästinenser stehen wird.

Viviane Manz

USA-Korrespondentin

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Die promovierte Juristin arbeitet seit 2005 bei SRF. Seit Frühjahr 2021 ist Viviane Manz USA-Korrespondentin von SRF in New York.

Hier finden Sie weitere Artikel von Viviane Manz und Informationen zu ihrer Person.

Tagesschau, 30.04.2024, 19:30 Uhr

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