Seit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine verletzen russische Drohnen oder Kampfjets immer wieder den Luftraum von Nato-Staaten. Nach gehäuften Provokationen des Kremls der vergangenen Wochen hat die Nato jetzt klar Stellung bezogen. Erklärungen zum aktuellen Stand, den Risiken und der Drohnenabwehrfähigkeit Europas von Ulrike Franke, Sicherheits- und Verteidigungsexpertin am European Council on Foreign Relations.
SRF News: Was ist genau damit gemeint, wenn die Nato jetzt mit Gewalt droht?
Ulrike Franke: Die Nato macht deutlich, dass Russland keinerlei Recht hat, den Luftraum anderer Staaten mit oder ohne Nato-Mitgliedschaft zu verletzen. Insofern haben die Nato-Staaten das Recht, solche Flugzeuge abzuschiessen oder zumindest Warnschüsse abzugeben. Es ist aber ganz klar, dass die Nato eine direkte militärische Konfrontation mit Russland vermeiden will.
Aber auch Nichtstun gegen die stärker werdenden Nadelstiche Russlands ist mit Risiken behaftet. Putin testet aus, wie weit er gehen kann, bis die Nato reagiert. Im November 2015 schoss die Türkei einen russischen Su-24-Bomber in ihrem Luftraum ab. Ein Krieg ist deswegen nicht ausgebrochen. Niemand will, dass die Nato einen russischen Jet abschiesst, aber das Recht hätte sie. Das erscheint mir als der richtige Weg.
Ein perfekter Drohnenschutzschirm wird nie möglich sein, aber punktuelle Lösungen.
Hat die Nato die technischen Fähigkeiten, um die Drohung wahrzumachen?
Ja. Die Nato kann den Luftraum absolut verteidigen und Flugzeuge abschiessen. Bei der Drohnenabwehr sind die Nato-Staaten leider noch nicht in der Lage, allen Drohnen überall Herr zu werden. So werden Drohnen eben teilweise noch mit Kampfjets abgefangen. Es ist auf jeden Fall besser als das Signal, gegen Drohnen wehrlos zu sein und etwa Spitäler oder andere kritische Infrastrukturen nicht schützen zu können.
Wie investiert die Nato in eine bessere Drohnenabwehr?
Es gibt eine Reihe von Drohnenabwehrsystemen im elektronischen Bereich. Hier geht es um Jamming und Spoofing, also das Überlagern beziehungsweise Fälschen von Satellitensignalen, um Drohnen irrezuführen. Dazu kommen kinetische Systeme für den Abschuss oder auch Netze, um Drohnen abzufangen. Und schliesslich Drohnen, die gegen Drohnen kämpfen. In eine solche gestaffelte Verteidigung (Layer Defense) investieren nun die Nato-Staaten. Doch man darf sich nichts vormachen: Ein perfekter Drohnenschutzschirm wird nie möglich sein, aber punktuelle Lösungen.
Auch wenn niemand einen Konflikt zwischen der Nato und Russland will – es könnte gefährlicher sein, nicht zu reagieren als zu reagieren.
Wie besorgt sind Sie als Sicherheitsexpertin?
Ich bin ziemlich besorgt. Wir dürfen hier aber nicht in Panik verfallen. Es gibt zwei verschiedene Elemente: Zum einen den möglichen Drohnen-Terrorismus gegen zivile Einrichtungen, der ja nicht nur von staatlichen Akteuren wie Russland ausgehen muss. Das ist eine reelle Gefahr. Ich bin schon fast erstaunt, dass es da nicht schon mehr oder schlimmere Vorfälle gab. Aber ich befürchte, dass das kommen wird. Darauf sind wir nicht wirklich ausreichend vorbereitet. Zum anderen die generelle Sicherheitslage, wo Putins Nadelstiche ganz klar auf eine weitere Provokation hindeuten. Dem wird Europa etwas entgegensetzen müssen. Auch wenn niemand einen Konflikt zwischen der Nato und Russland will – es könnte gefährlicher sein, nicht zu reagieren als zu reagieren.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.