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Beginn des Prozesses gegen HDP in der Türkei
Aus Echo der Zeit vom 26.04.2021. Bild: Keystone
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Prozess in der Türkei «Beim HDP-Prozess geht es nicht um Rechtsfindung»

In Ankara stehen seit heute 108 Personen vor Gericht. Unter ihnen der Oppositionspolitiker Selahattin Demirtas, der bereits seit 2016 im Gefängnis sitzt. Die Mehrheit der Angeschuldigten sind wie Demirtas Mitglieder der pro-kurdischen Partei HDP. Ihnen wird unter anderem die «Zerstörung der Einheit des Staates und Integrität des Landes» vorgeworfen. Es handle sich um einen Schauprozess, sagt Journalist Thomas Seibert in Istanbul.

Thomas Seibert

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

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Thomas Seibert ist seit 1997 Korrespondent für den deutschen «Tagesspiegel» in Istanbul und berichtet auch für andere Medien, unter anderem für SRF.

SRF News: Was steckt hinter der Anklage?

Thomas Seibert: Offiziell geht es in dem Fall um Unruhen im Jahr 2014. Damals kamen 37 Menschen ums Leben bei Protesten gegen die türkische Haltung im Fall Kobane. Diese Stadt in Syrien wurde damals vom Islamischen Staat gehalten und die Türkei weigerte sich, den kurdischen Verteidigern von Kobane zu helfen.

Es geht um den Versuch, die Kurdenpartei HDP unter Druck zu setzen.

Den jetzt angeklagten 108 Kurden-Politikern wird vorgeworfen, die Proteste organisiert und damit den Tod dieser 37 Menschen verschuldet zu haben. Tatsächlich aber geht es nicht um diese Vorwürfe. Das Ganze ist ja schon sieben Jahre her. Es geht um den Versuch, die Kurdenpartei HDP unter Druck zu setzen.

Warum tut Präsident Erdogan das?

Da geht es um die innenpolitische Lage. Zwei Jahre vor den nächsten Parlaments- und Präsidentenwahlen verliert Erdogan und seine Koalition an Rückhalt bei den Wählern. So wie es im Moment aussieht, hat er keine Mehrheit mehr.

Einen Weg, die Wahlen trotzdem zu gewinnen, wäre für ihn, die Opposition zu spalten. Die Kurdenpartei HDP ist Teil eines Oppositionsbündnisses. Wenn Erdogan die anderen Parteien zur Distanzierung von der HDP zwingen könnte, würde das seine eigenen Wahlchancen erhöhen.

Den Angeklagten wird auch Terror vorgeworfen. Sind die Vorwürfe in irgendeiner Art und Weise fundiert?

Das glaube ich nicht. In den letzten sieben Jahren hat die türkische Justiz offenbar nichts gefunden, was diesen Leuten vorgeworfen werden könnte. Tatsächlich geht es hier um einen Schauprozess. Die HDP sagt das ohnehin, aber es sagen auch viele europäische Politiker, dass es hier um reine Politik geht, nicht um Rechtsfindung.

Warum macht die Justiz da mit?

Die türkische Justiz ist in den vergangenen Jahren unter den Einfluss der Regierung gekommen. Besonders bei politischen Prozessen wie diesem hier ist das spürbar. Die Regierung kontrolliert das Aufsichtsgremium über Richter und Staatsanwälte und kann also über die Besetzung von Gerichten entscheiden.

Richter, die gegen die Linie der Regierung urteilen, finden sich sehr schnell in der Strafversetzung wieder. Insofern ist die Justiz insbesondere bei solchen politischen Prozessen sehr dem Einfluss der Regierung unterworfen.

Wie wird der Prozess in der Türkei beobachtet?

Bei Regierungsanhängern wird der Prozess den Eindruck vertiefen, dass die HDP ein Handlanger von Terroristen sei. Ihr wird ja vorgeworfen, sie sei der politische Arm der Terrororganisation PKK. Das soll durch diesen Prozess untermauert werden. Im Hintergrund läuft auch der Versuch der türkischen Regierung, die HDP vom Verfassungsgericht verbieten zu lassen. Das haut in dieselbe Kerbe.

Der Prozess könnte zur weiteren Polarisierung der türkischen Gesellschaft beitragen.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wird es viele Leute in dem Eindruck bestärken, dass die Erdogan-Regierung die Opposition vor den Wahlen ausschalten will. Der Prozess könnte auf jeden Fall zur weiteren Polarisierung der türkischen Gesellschaft beitragen. Das ist sowieso schon ein grosses Problem hier in der türkischen Gesellschaft. Erdogan versucht mit diesem Rezept Wahlen zu gewinnen.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

Echo der Zeit, 26.4.2021, 18 Uhr;

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