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Pushbacks an EU-Grenze Video-Beweis: Kroatische Polizisten prügeln Migranten aus der EU

Sie werden geschlagen, misshandelt, beraubt und illegal ausgeschafft: Was mit Flüchtlingen auf der Balkanroute passiert, ist längst kein Geheimnis mehr. Und doch haben die Regierungen der betroffenen Länder und die Verantwortlichen der EU stets bestritten, dass an Europas Aussengrenze solche illegalen Pushback-Aktionen stattfinden. Sie stellen ein Verstoss gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und gegen das EU-Recht dar.

Eine Recherche enthüllt nun, wie brutal und systematisch Migrantinnen und Migranten auf der Balkanroute davon abgehalten werden, die EU zu betreten, um dort einen Asylantrag zu stellen. Der Rundschau gelang es, zusammen mit Journalistinnen und Journalisten von Lighthouse Reports, «Der Spiegel», ARD Studio Wien, ARD Monitor, «Libération», Novosti, RTL Kroatien und «Pointer», zu dokumentieren, wie staatliche Spezialeinheiten Asylsuchende jagen und verprügeln.

Schläger mit versteckter Kamera gefilmt

Heimlich gemachte Filmaufnahmen zeigen erstmals, wie Männer an der kroatischen Grenze eine Gruppe Afghanen und Pakistaner von EU-Boden über einen Grenzfluss nach Bosnien und Herzegowina treiben. Die Männer tragen Sturmhauben und Sonnenbrillen. Abzeichen tragen sie keine an ihren Uniformen. Auf dem Video zu sehen ist, wie einer der Männer wieder und wieder mit seinem Schlagstock auf die wehrlosen Migranten eindrischt – und sie regelrecht aus der EU rausgeprügelt.

Auf der bosnischen Seite des Grenzflusses erzählen die Asylsuchenden von den Misshandlungen, die sie erfahren haben. Ihre Rücken sind gezeichnet von Schlägen. Auch wurden ihnen die Schuhe, Jacken, Geld und das Handy weggenommen. Wer sind diese maskierten Männer, die dafür verantwortlich sind?

Schläger sind kroatische Polizisten

Nach acht Monaten Recherche kann die Rundschau mit den internationalen Recherchepartnern aufzeigen, dass es sich bei den Schlägertrupps um kroatische Interventionspolizisten handeln muss. Ihre Kleidung, die Schlagstöcke und die Pistole am Halfter lassen daran kaum Zweifel. Mehrere anonyme Aussagen von kroatischen Polizisten stützen diesen Befund.

Die Zagreber Anwältin Ana Cuca klagt mit ihrer Organisation seit Jahren die Vergehen der kroatischen Polizisten an. Die Pushbacks seien eine kontinuierliche Praxis und keine individuelle Entscheidung einzelner Polizisten. Es seien Befehle, die von der politischen Spitze komme: «Es handelt sich in Wahrheit um die Politik des kroatischen Grenzschutzes.»

Kroatien will Vorwürfe untersuchen

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Das Innenministerium kündigte an, den gefilmten Vorfall untersuchen zu wollen. Man werde rasch ein Expertenteam an den entsprechenden Ort an der Grenze entsenden, sagte eine Sprecherin. Sollte sich herausstellen, dass kroatische Beamte beteiligt gewesen seien, werde man diese zur Verantwortung ziehen.

Die EU-Kommission schreibt in einer Stellungnahme, dass Pushback-Aktionen entschieden abgelehnt würden. Den nationalen Behörden gegenüber habe man deutlich gemacht, dass diese Praktiken illegal seien und allen Anschuldigungen nachgegangen werden müssten. Auch sei mit Kroatien diesen Sommer die Einführung eines unabhängigen Überwachungsmechanismus vereinbart worden. Dieser solle sicherstellen, dass alles legal ablaufe.

EU-Fonds finanziert gewalttätige Grenzschutz-Trupps

Finanziert werden diese kroatischen Grenzoperationen auch über den Schengen-Fonds für die innere Sicherheit (ISF). Dieser unterstützt Schengen-Staaten, die für den Schutz ihrer Aussengrenzen hohe Kosten zu tragen haben. Als assoziiertes Schengen-Mitglied zahlte die Schweiz 138 Millionen Franken in den Fonds ein.

Auf Anfrage sagt das zuständige Staatssekretariat für Migration, Kroatien sei mit Blick auf den geplanten Beitritt zum Schengen-Raum verpflichtet, die rechtlichen Vorgaben bei den Grenzschutzmassnahmen zu respektieren. «Ein effektiver Grenzschutz darf nicht auf Kosten der Grundrechte erfolgen.»

Die Schweiz will sich auch zukünftig am Grenzschutz-Fonds beteiligen. Für das Nachfolgeprojekt, genannt Border Management and Visa Instrument (BMVI), soll die Schweiz 300 Millionen Euro in den Fonds einzahlen. Das Geschäft braucht die Zustimmung des Parlaments. Derzeit befindet es sich in der Vernehmlassung.

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Rundschau, 06.10.2021, 20:05 Uhr

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