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Putin-Gegner Garri Kasparow «Die Schweiz ist nicht bereit, zu tun, was nötig ist»

Wie wirksam sind die Sanktionen gegen Russland? Welche Rolle spielt die Schweiz im Krieg gegen die Ukraine? SWI swissinfo.ch hat im Rahmen einer Serie über russische Oppositionelle auch mit Ex-Schachweltmeister und Polit-Aktivist Garri Kasparow gesprochen. Im Interview bemängelt er die Haltung der Schweiz.

Garri Kasparow

Garri Kasparow

Russischer Oppositioneller im Exil

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Garri Kasparow ist ehemaliger Schachweltmeister, Schriftsteller und politischer Aktivist. Von 1984 bis 2005 war Kasparow 255 Monate lang die Nummer 1 der Weltrangliste, so lange wie kein anderer in der Geschichte.

Er gründete danach die Vereinigte Bürgerfront und schloss sich im Februar 2022 dem Antikriegskomitee an, einer Gruppe exilierter russischer Persönlichkeiten, die sich gegen Putins Krieg gegen die Ukraine aussprechen. 2013 hat Kasparow Russland verlassen, aus Angst vor Verfolgung durch den russischen Staat.

Herr Kasparow, wie lange kann Russlands Wirtschaft den westlichen Sanktionen standhalten?

Garri Kasparow: Die Wirtschaft von Putins Russland hat keine unendlichen Möglichkeiten, und die sozioökonomische Situation nähert sich im Frühling einer Katastrophe. Und das, obwohl die Sanktionen erst jetzt richtig zu wirken beginnen. Die Sanktionen haben Russlands Wirtschaft also definitiv geschwächt. Sie können die Invasion stoppen, aber sie werden nicht ausreichen, um Putin zu einem Gesinnungswandel zu bringen, sodass er sich vollständig aus der Ukraine zurückziehen wird.

Man muss Putin zwingen, die Invasion zu stoppen.

Das Ziel der Sanktionen besteht vielmehr darin, Russlands Fähigkeit, diesen Krieg zu führen, einzuschränken. Man muss Putin zwingen, die Invasion zu stoppen, überreden lässt er sich nicht. Ein gewisser Erfolg wurde bis heute bereits erzielt, aber die Erfahrung der letzten sechs Monate zeigt, dass noch viel mehr getan werden muss.

Serie: Russlands Opposition blickt auf die Schweiz

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Legende: Die Putin-Gegner: Garri Kasparow, Wladimir Kara-Mursa, Sergei Aleksaschenko, Sergei Guriev und Leonid Newslin (von links). SWI

SWI swissinfo.ch hat für eine Interviewreihe die wichtigsten Stimmen kontaktiert, die sich gegen den Kreml aussprechen. Die meisten von ihnen mussten deshalb das Land verlassen: Putin-Gegner Garri Kasparow lebt jetzt in Kroatien, der Unternehmer Leonid Newslin in Israel, und Star-Ökonom Sergei Guriev floh nach Frankreich. Der Putin-Kritiker und Wirtschaftswissenschaftler Sergei Aleksaschenko lebt in Washington.

Wie sehen Sie die Rolle der Schweiz?

Sie könnte dank ihrer wichtigen Stellung im internationalen Finanzsystem und Bankensektor eine wichtige Rolle beim Widerstand gegen das Putin-Regime spielen. Es ist allgemein bekannt, dass das meiste Geld, zu dem Putins Kumpanen in den über 20 Jahren an der Macht gekommen sind, auf Bankkonten im Westen angehäuft wurde, natürlich auch in der Schweiz. Jede Technologie, die Russlands Wirtschaft hilft, hilft auch Putin beim Töten von Ukrainern.

Wie könnte die Schweiz die Situation beeinflussen?

Es wäre nun wichtig, die Vermögenswerte von Personen, die mit Putins Regime in Verbindung stehen, einzufrieren und zu beschlagnahmen und die Erlöse zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine zu verwenden. Solche Entscheidungen würden jedoch politischen Willen erfordern. Trotz einiger Verbesserungen in der Haltung zu Sanktionen gegen Russland ist die Schweizer Regierung offensichtlich nicht bereit, solche Schritte zu unternehmen.

Sie glauben also an die Wirksamkeit von Sanktionen. Warum?

Die Art und Weise, wie sich die Situation im Lauf der Jahre entwickelt hat, entblösst den Zynismus vieler westlicher Politiker. Sie haben in den acht Jahren nach der Annexion der Krim immer wieder beteuert, ernsthafte Sanktionen seien nicht machbar.

Jede Technologie, die Russlands Wirtschaft hilft, hilft am Ende auch Putin beim Töten von Ukrainern.

In all diesen Jahren hat niemand Putin gezeigt, dass ihn eine Aggression einen sehr hohen Preis kosten würde. Jetzt aber hat ein halbes Jahr ausgereicht, um Sanktionen zu verhängen, die Putin ernsthafte Probleme bereiten. Das bedeutet, es war immer möglich.

Video
Archiv: Exilant Guriev zum Zustand der russischen Wirtschaft
Aus 10 vor 10 vom 20.09.2022.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 44 Sekunden.

Was sollte der Westen tun, wenn er will, dass der Krieg mit Putins Niederlage endet?

Die gezielte Ausfuhrkontrolle strategischer Technologien hat sich als besonders effizient erwiesen. Denn diese reduziert Russlands Möglichkeiten zur Aufstockung seiner Bestände an Hochpräzisionswaffen. Mit der Zeit wird das verringerte Angebot an Hochtechnologiekomponenten das militärische Potenzial des Landes schwächen.

Sie sprechen also nicht nur von Panzerteilen ...

Russland sollte überhaupt keine Hightech-Güter mehr importieren, denn fast jede Technologie kann doppelt genutzt werden. Jede Technologie, die Russlands Wirtschaft hilft, hilft am Ende auch Putin beim Töten von Ukrainern.

Auf welche Bereiche können die Sanktionen noch ausgeweitet werden?

Der Westen muss den Druck auf seine Unternehmen erhöhen, die noch in Russland tätig sind. Jedes ausländische Unternehmen, das die russische Kriegsmaschinerie unterstützt, und sei es nur, indem es dort seine Steuern zahlt, muss ebenfalls mit Sanktionen rechnen.

Und die internationale Gemeinschaft muss auch Druck auf Länder wie die Türkei, Georgien und Kasachstan ausüben. Diese helfen Russland derzeit, Sanktionen zu umgehen.

So kritisieren Putin-Gegner die Schweiz

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Legende: Die Putin-Gegner: Garri Kasparow, Wladimir Kara-Mursa, Sergei Aleksaschenko, Sergei Guriev und Leonid Newslin (von links). SWI

Wie beurteilen die führenden russischen Kreml-Kritiker die Rolle der Schweiz im Krieg gegen die Ukraine? Die Kritik ist einhellig: Noch immer verstecke sich das Land hinter der Neutralität und gewähre Putins Vertrauten zu viele Schlupflöcher.

Polit-Aktivist und Journalist Wladimir Kara-Mursa sieht die Rolle der Schweiz sehr kritisch. «Putins Funktionäre konnten dort Geld horten, das den russischen Steuerzahlern gestohlen wurde», schreibt er aus der Haft in Moskau.

Für Star-Ökonom Sergei Guriev steht fest, dass «jedes noch so kleine Schlupfloch von Putin genutzt wird». Über die Schweiz könne Russlands Staatschef Sanktionen umgehen, darum sei das Land entscheidend.

Im Hinblick auf russische Bankgeschäfte fordert Leonid Newslin von Bund und Banken ein konsequenteres Eingreifen, auch bei verdeckten Immobilienkäufen: «In dieser Situation ist es besser, man übertreibt, als unter dem Deckmantel der Neutralität nicht genug zu tun.»

Kritisch sieht auch Top-Ökonom Sergei Aleksaschenko die Neutralität der Schweiz, selbst wenn diese EU-Sanktionen mitträgt. Für ihn reicht das nicht. «Wer sich auf die Seite des Guten stellt, muss die Schlächter stoppen», sagt er.

Was ist mit den Oligarchen?

Persönliche Sanktionen gegen russische Einzelpersonen haben zu greifbaren und nachhaltigen Ergebnissen geführt. Russische Oligarchen sind bereit, grosse Anstrengungen zu unternehmen, um nicht auf Sanktionslisten zu erscheinen, was ein Beweis für die Wirksamkeit der Sanktionen ist.

Wie lange soll der Westen die Sanktionen aufrechterhalten?

Es ist wichtig, dass der Westen jetzt klar sagt, dass die Sanktionen erst dann aufgehoben werden, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Erstens muss die Ukraine ihre Souveränität über das gesamte anerkannte Territorium, einschliesslich der Krim und Sewastopol, wiedererlangen. Zweitens muss Russland der Ukraine Reparationen zahlen, und drittens müssen russische Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden.

Ohne die Zustimmung der Ukraine sollten die Sanktionen nicht aufgehoben werden.

Die Staats- und Regierungschefs der freien Welt sollten nicht der Versuchung nachgeben und die Sanktionen teilweise lockern, im Gegenzug zu einer teilweisen Reduzierung der russischen Militäraktivitäten in der Ukraine. Ohne die Zustimmung der Ukraine sollten die Sanktionen ohnehin nicht aufgehoben werden.

Dies sind recht strenge Bedingungen. Wird der Westen dazu bereit sein?

Die Ausweitung und Aufrechterhaltung der Sanktionen wird die Länder des Westens, die USA, Kanada und Europa, teuer zu stehen kommen. Aber das ist der Preis, der für die jahrzehntelange Selbstgefälligkeit gegenüber den autoritären, imperialistischen Methoden Putins gezahlt werden muss. Die freien Länder haben das Glück, diesen Preis nur mit Geld zu zahlen, während die Ukraine mit dem Leben ihrer Bürger bezahlt.

Das schriftliche Gespräch führte Elena Servettaz. Editiert und ins Deutsche übersetzt hat es Balz Rigendinger.

10vor10, 20.09.2022, 21:50 Uhr;

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