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Reaktionen auf den EU-Gipfel Grosse Erleichterung und leise Kritik

  • Die Länder der Europäischen Union haben überwiegend positiv auf die Einigung am EU-Gipfel in Brüssel reagiert.
  • Frankreichs Präsident Emmanuel Macron räumte ein, dass sich beim Gipfel eine gewisse Spaltung der EU gezeigt habe.
  • Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban stellte die Vereinbarungen als Sieg für die Regierungen in Budapest und Warschau dar.

In Deutschland äusserten Spitzenpolitiker ihre Erleichterung über die Beschlüsse. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wertete die Einigung als Wendepunkt zu einem stärkeren Europa: «Jetzt freue ich mich, diesen Plan mit meinen Finanzminister-Kollegen umzusetzen.»

«Aussergewöhnliche Ereignisse, und das ist die Pandemie, die uns alle erreicht hat, erfordern auch aussergewöhnliche neue Methoden. Es hat dann auch aussergewöhnlich lange gedauert», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Morgen nach der Einigung.

Der französische Präsident Emmanuel Macron gab sich kritischer: «Diese lange Verhandlung war geprägt von Schwierigkeiten, manchmal von Gegensätzen, von unterschiedlichen Auffassungen von Europa», sagte er an einer gemeinsamen Medienkonferenz mit Merkel. Er sei aber erfreut darüber, dass er mit Merkel stets auf der «Seite der Ambition und Kooperation» gestanden habe.

Macron spielte mit seinen Äusserungen offensichtlich auf den erbitterten Widerstand an, den Politiker wie Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte gegen die Pläne für das Corona-Hilfspaket geleistet hatten.

Lob für das Bündnis der «Sparsamen»

Kurz sprach nach der Einigung von einem «guten Resultat für die EU und Österreich». Er lobte namentlich das Bündnis, dass Österreich mit Schweden, Dänemark und den Niederlanden eingegangen war. «Vielen Dank an alle Kollegen, besonders an die «Sparsamen»», schrieb er auf Twitter.

Der niederländische Premierminister Mark Rutte sprach von einem «umfangreichen und guten Paket, durch das die niederländischen Interessen gewahrt bleiben.» Ihm zufolge ist es wichtig, dass Länder «auf Reformen festgenagelt werden können». «Das sorgt für starke Mitgliedsstaaten und einen starken internen Markt», so Rutte.

Baltische und skandinavische Länder sind zufrieden

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In den baltischen Staaten und in Skandinavien wurde die Einigung grösstenteils gelobt. «Wir haben erneut bewiesen, dass die Stärke Europas darin besteht, einen Kompromiss zu finden, der uns alle stärker macht», twitterte Lettlands Regierungschef Krisjanis Karins.

Auch die zu den «Sparsamen Vier» zählenden Schweden sind zufrieden. «Europa steht vor vielen Herausforderungen, die wir gemeinsam angehen müssen, und es ist wichtig, dass der Haushalt steht», erklärte Regierungschef Stefan Löfven.

Finnland hält die Einigung des Sondergipfels für einen Beweis der Stärke der EU. Trotz aller Schwierigkeiten habe sie gezeigt, dass sie in einer schwierigen Lage handeln könne, sagte Ministerpräsidentin Sanna Marin.

Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sagte, es sei wichtig, einen grossen Rabatt erhalten zu haben. «Das lässt erkennen, dass man gleichzeitig für dänische und für europäische Interessen kämpfen kann.»

Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez, dessen Land besonders von den vereinbarten EU-Hilfen profitieren wird, ist «zu 95 Prozent zufrieden» mit dem Ergebnis. Von den beschlossenen 750 Milliarden Euro zur Abfederung der Coronakrise stehen nach seinen Worten «in etwa» 140 Milliarden für sein Land zur Verfügung. Davon seien 72.7 Milliarden nicht rückzahlbare Subventionen, der Rest Kredite.

Sánchez sprach von einem «wahrhaften Marshallplan». Es sei «historisch», dass sich die EU-Kommission erstmals in ihrer Geschichte verschulde, um nationale Programme zu finanzieren. Dies zeige, dass Europa eine «gemeinsame Antwort auf eine Krise gefunden hat, die alle mehr oder weniger trifft», berichtete das spanische Fernsehen.

Ungarn und Polen ist es gelungen, ihren nationalen Stolz zu verteidigen.
Autor: Viktor Orban Ungarischer Ministerpräsident

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sagte auf einer gemeinsamen Medienkonferenz mit seinem polnischen Amtskollegen Mateusz Morawiecki: «Ungarn und Polen ist es nicht nur gelungen, sich ernsthafte Geldsummen zu sichern, sondern auch ihren nationalen Stolz zu verteidigen.»

Kompromiss zur Rechtsstaatlichkeit

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Einer der zentralen Streitpunkte der Verhandlungen hatte sich um das Problem der Rechtsstaatlichkeit gedreht. Viele Mitgliedstaaten hatten gefordert, dass die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien gekoppelt sein muss.

Einige osteuropäische Länder wie Ungarn und Polen hatten eine solche Koppelung abgelehnt. Kritiker werfen Ungarn und Polen die Verletzung von Grundfreiheiten sowie den korrupten Umgang mit EU-Hilfsgeldern vor. Gegen beide Länder läuft deshalb ein Grundrechteverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge.

Die Frage konnte auf dem EU-Gipfel mit einer Kompromissformel gelöst werden. Im neuen Text heisst es, der Europäische Rat unterstreiche die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU und des Respekts der Rechtsstaatlichkeit.

Vor diesem Hintergrund werde ein System der Konditionalität zum Schutz des Budgets und des Corona-Plans eingeführt. An die Vergabe von Geld sollen also Bedingungen geknüpft werden können. In diesem Kontext soll die EU-Kommission bei Verstössen Massnahmen vorschlagen können, die vom EU-Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden.

Für Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis ist der Kompromiss «ein sehr wichtiges Signal für Europa und für die Finanzmärkte». Die Verhandlungen seien «ein grosser Marathon» gewesen, so der Gründer der populistischen Partei ANO.

SRF 4 News, 21.7.2020, 8 Uhr ; 

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