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Rede am «Tag des Sieges» Nüchterne Rede, ernüchternder Krieg: Warum sich Putin zurückhielt

Russland zelebriert den «Tag des Sieges». Die Erwartungen an die Selbstinszenierung des russischen Militärs und dessen Oberbefehlshaber Wladimir Putin waren im Vorfeld gross. Es gab Befürchtungen, Russland würde seine Angriffe auf die Ukraine intensivieren und Putin würde in seiner Rede seine Visionen für eine Ukraine unter russischer Herrschaft skizzieren. Die pessimistischste Befürchtung ging sogar so weit, dass Putin den Angriff mit Atomwaffen ankündigen würde. Doch all das geschah nicht. NZZ-Korrespondent Markus Ackeret über einen überraschenden Aufritt des Kreml-Chefs.

Markus Ackeret

Russland-Korrespondent, NZZ

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Markus Ackeret hat osteuropäische Geschichte sowie russische Literatur studiert. Seit 2006 arbeitet er in der Auslandreaktion der «Neuen Zürcher Zeitung», zunächst als Russland-Korrespondent, danach berichtete er zuerst aus Peking und später aus Berlin. Anfang 2018 ist er als Russland-Korrespondent nach Moskau zurückgekehrt.

SRF News: Wie haben Sie Putin und die russische Inszenierung erlebt?

Markus Ackeret: Ich habe sie nicht besonders angriffig erlebt. Diese Erwartungen, die vor allem im Westen geschürt wurden, fand ich von Anfang an etwas übertrieben. Die Ausgangslage war schwierig für Putin. Er hat eine Rede gehalten, die im Ton etwas unfeierlich und verbissen war. Sie hatte ein gewisses Drohpotenzial. Sie zeigte aber auch, dass er sich in erster Linie rechtfertigen will – und wenig zu verkünden hatte.

Erkennen Sie hier Zeichen der Schwäche bei Putin?

Die Rede entsprach der Realität, wie sie sich in der Ukraine zeigt. Putin hatte schlicht nicht das zu bieten, was vielleicht ursprünglich mit diesem «Tag des Sieges» verbunden werden sollte. Er hat auch darauf verzichtet, Teilsiege oder Eskalationen anzukündigen. Das ist in einer gewissen Weise ein Zeichen von Schwäche. Was derzeit in diesem «Spezialoperation» genannten Krieg in der Ukraine abläuft, kann nicht dem entsprechen, was einmal vorgesehen war.

Eine neue Schärfe habe ich in Putins Rede nicht erkannt.

Hat Putin auch auf eine Generalmobilmachung verzichtet, weil das als Zeichen der Schwäche interpretiert werden könnte?

Einerseits könnte das so interpretiert werden. Andererseits ist eine Generalmobilmachung weiterhin möglich. Dies würde aber voraussetzen, dass man die Kampfhandlungen offiziell zu einem Krieg erklären würde. Das würde noch einmal ganz andere Reaktionen in der Bevölkerung hervorrufen. Davor schreckt der Kreml bis zu einem gewissen Grad zurück.

Hat sich Putin diesen «Tag des Sieges» anders vorgestellt, als die russischen Truppen Ende Februar in die Ukraine einmarschierten?

Damals hat Putin vermutlich schon damit gerechnet, dass er im Mai etwas Klares präsentieren kann. Wahrscheinlich schon viel früher. Er hat ja von Anfang an eine Linie der Kontinuität im Kampf gegen den Nazismus gezogen, der nun auch in der Ukraine geführt werden soll. Die militärische Lage hat so etwas für heute aber nicht möglich gemacht.

Putin sagte in seiner Rede auch, der Westen habe Angriffe auf Russland geplant. Russland habe diese vereiteln können. Er kritisierte auch abermals die Nato und deren Erweiterungspolitik Richtung Osten. Könnte man dies so sehen, dass Putin Legitimation für Angriffe auf den Westen sucht?

Ich habe in dieser Argumentation nicht viel Neues gesehen. Das ist, was Putin seit geraumer Zeit erzählt und auch die Propaganda im russischen Fernsehen und den staatlichen Medien insgesamt vorantreibt: Dass es sich nämlich eigentlich um einen Krieg gegen den Westen, die Nato, handelt – und die Ukraine vom Westen nur als Kanonenfutter missbraucht wird. Dahinter steckt eine grössere Auseinandersetzung. Eine neue Schärfe habe ich in Putins Rede aber nicht erkannt. Ich sehe es als Kondensation dessen, was Putin sowie seine Minister und Funktionäre in den letzten Wochen immer wieder gesagt haben.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

Echo der Zeit, 09.05.2022, 18 Uhr ; 

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