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Regierungsbildung in Spanien Trotz Wahlverlusten: Alles hängt von separatistischen Parteien ab

Ohne sie dürfte es keine neue Regierung geben: In Spanien spielen die separatistischen Kräfte das Zünglein an der Waage.

In den nächsten Wochen entscheidet sich in Spanien, wer die neue Regierung bilden kann. Das Wahlresultat vom 23. Juli brachte eine Pattsituation zwischen links und rechts. Beide Blöcke erreichten keine Mehrheit im Parlament. Sie sind auf Stimmen von Kleinparteien angewiesen – konkret auf baskische und katalanische Regionalparteien, die sich für die Unabhängigkeit ihrer Regionen einsetzen.

Puigdemonts Partei ist entscheidend

Besonders pikant: Die entscheidende Rolle dürfte ausgerechnet die katalanische Partei Junts spielen. Das ist die Partei des früheren Regionalpräsidenten Carles Puigdemont, die den spanischen Staat am vehementesten ablehnt.

Junts machte schon am Tag nach den Wahlen eine klare Ansage: Man werde nicht ohne Gegenleistung einer neuen Regierung zur Macht verhelfen. Und ihr Sprecher Josep Rius präzisierte: «Wir werden über die zwei grossen Themen verhandeln: über die Selbstbestimmung Kataloniens und über eine Amnestie.»

Die Forderungen von Junts

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Bei den anstehenden Verhandlungen stehen zwei Forderungen im Zentrum:

  • Selbstbestimmung: Junts will, dass in Katalonien eine Volksabstimmung zur Unabhängigkeit der Region durchgeführt wird. Eine solche Abstimmung hatte der damalige Regionalpräsident Carles Puigdemont im Jahr 2017 durchgeführt. Die spanische Regierung erklärte diese für illegal, setzte die Regionalregierung ab und löste das Parlament auf.
  • Amnestie: Allen Beteiligten am illegalen Referendum von 2017 sollen die Strafen erlassen oder zumindest gemildert werden. Erste solche Massnahmen hat die Regierung Sánchez bereits realisiert. So wurde der Straftatbestand der «Rebellion» abgeschafft, was zu deutlich milderen Strafen führte. Carles Puigdemont hat sich bisher aber der Strafverfolgung ganz entzogen – er setzte sich ins Exil ab. Er lebt heute in Belgien und ist Abgeordneter im Europaparlament.

Das forsche Auftreten legte offen, in welch paradoxer Situation Spanien sich befindet: Eigentlich haben die separatistischen Parteien bei den Wahlen Sitze verloren, trotzdem ist ihr Einfluss eher grösser geworden, weil sie bei der Regierungsbildung das Zünglein an der Waage spielen können.

Klar ist, dass sie mit den rechten Parteien kaum paktieren werden, da diese jegliche Stärkung der Autonomie ablehnen. Mit dem Sozialisten Pedro Sánchez hingegen sind Verhandlungen möglich, schliesslich hat er in den letzten Jahren schon einige Konzessionen gegenüber den Separatistinnen und Separatisten gemacht.

Die Leute von Junts sollen nicht glauben, dass sich die Welt nur um sie dreht. Denn das tut sie nicht.
Autor: Mann aus der zentralspanischen Stadt Toledo

Trotzdem stehen für Sánchez äusserst heikle Verhandlungen an. Denn viele Spanierinnen und Spanier halten gar nichts von den separatistischen Ideen der katalanischen Junts. Das zeigt sich schnell, wenn man sich etwas umhört.

Umstrittene Themen

Bei einer kleinen Umfrage vor dem Parlamentsgebäude in Madrid äussert sich zuerst ein älterer Herr, der aus der zentralspanischen Stadt Toledo kommt. «Mit Junts verhandeln, ja. Aber eine Amnestie und ein Unabhängigkeitsreferendum zulassen: nein», findet er. «Die Leute von Junts sollen nicht glauben, dass sich die Welt nur um sie dreht. Denn das tut sie nicht.»

Etwas nachgiebiger ist eine Madrilenin, die sich dazugesellt. Über eine Amnestie müsse man reden können, findet sie. «Wenn es rechtlich abgestützt ist.» Eine Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens aber lehnt sie ab.

Puigdemont ist unser Präsident. Wir wollen, dass er nach Katalonien zurückkehrt!
Autor: Frau aus der katalanischen Provinz Girona

Ganz anders sieht es eine Frau, die aus Katalonien stammt: aus der Provinz Girona. Sie findet, Junts müsse auf einem Referendum bestehen. Und Carles Puigdemont solle Straffreiheit erhalten. «Er ist unser Präsident», sagt die 60-Jährige, obwohl Puigdemont längst nicht mehr im Amt ist. «Wir wollen, dass er nach Katalonien zurückkehrt!»

Risiko von Neuwahlen

Mit ihren Maximalforderungen werden die separatistischen Kräfte wohl nicht durchkommen, das hat Sánchez' sozialistische Partei schon klargemacht. Realistischer wären kleinere Schritte in Richtung Straferlass oder Strafmilderung.

Die Separatistinnen und Separatisten stecken deshalb im Dilemma. Verlangen sie zu viel, drohen die Verhandlungen zu scheitern. Und das wäre auch für sie gefährlich, denn dann käme es zu Neuwahlen – mit dem Risiko, dass die rechten Parteien diese gewinnen würden und die separatistischen Kräfte ihre Anliegen ganz begraben müssten.

Echo der Zeit, 02.08.2023. 18:00 Uhr

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