In Stuttgart beginnt der erste Prozess gegen die sogenannte «Reichsbürger-Szene». Im Fokus steht die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuss. Er hatte gemeinsam mit anderen Verschwörerinnen und Verschwörern einen bewaffneten Putsch gegen die deutsche Regierung geplant. Dabei nahmen sie der Anklage zufolge bewusst Tote in Kauf.
Die Gerichtsprozesse dürften zu den grössten Terrorverfahren gehören, die es in Deutschland je gegeben hat. Deshalb hat die zuständige Generalbundesanwaltschaft die Verfahren gegen die Gruppe in drei einzelne Prozesse aufgeteilt. Im heute gestarteten Prozess wird gegen den «militärischen Arm» der Gruppierung verhandelt. Es sind neun Angeklagte. Insgesamt sind 26 mutmassliche Verschwörer des Reichsbürgernetzwerks rund um Prinz Reuss angeklagt.
Den heute vor Gericht stehenden neun mutmasslichen «Reichsbürgern» wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die sogenannte «Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens» vorgeworfen. Einer der Angeklagten steht zudem wegen versuchten Mordes vor Gericht. Diese Person hat mit einem Schnellfeuergewehr auf Polizeibeamte geschossen, als die Polizei im vergangenen Jahr zur Vernehmung einrückte.
Mögliches Vorgehen der Verteidigung
Die Verschwörer hofften auf Unterstützung der sogenannten «Allianz», eine Mischung aus irdischen und ausserirdischen Kräften. Es handelt sich dabei um eine Macht im Sinne einer Verschwörung, die weltweit eine neue Staatlichkeit herstellen will. Die Gruppe um Prinz Reuss wollte mit dieser «Allianz» Kontakt aufnehmen.
Der militärische Arm wäre aber erst aktiv geworden, wenn die «Allianz» das Zeichen zum Umsturz gegeben hätte. Das erklärt die Investigativ-Journalistin vom deutschen Rundfunk WDR, Katja Riedel. Die Verteidigung der Angeklagten wird wohl darauf plädieren, dass es nie zu einem Umsturz gekommen wäre, weil es diese «Allianz» überhaupt nicht gibt.
Aufgaben des «militärischen Arms»
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Der «militärische Arm» der Gruppe wäre nach dem geplanten Putsch für die Herrschaftssicherung zuständig gewesen. Sie hätten die Machtübernahme mit Waffengewalt durchsetzen sollen. Dazu ist laut Anklage schon mit dem Aufbau und der Ausrüstung eines deutschlandweiten Systems von mehr als 280 militärisch organisierten Heimatschutzkompanien begonnen worden.
Der Verbund dieser Heimatschutzkompanien hätte auf die Strassen gehen und die Kräfte der Bundesrepublik Deutschland bekämpfen sollen.
Der «militärische Arm» hätte sich unter anderem um die Logistik gekümmert. Sie hatten beispielsweise bereits Autos und Waffen besorgt. Oder sie hatten Pläne, was die Logistik in Sachen Transport oder Aufgaben nach geplanter Machtübernahme angeht. Angeklagt sind unter anderem ehemalige Spezialkräfte der Bundeswehr, die entsprechend militärisches Know-how besitzen.
Verschiedenen Verfassungsschutzbehörden in Deutschland ist die Gruppe seit Frühling 2022 aufgefallen. Danach kam es zu einer der grössten Razzien in Deutschland, die es jemals gegeben hat. Es waren 3000 Polizistinnen und Polizisten beteiligt. Dutzende Mitglieder wurden Ende 2022 festgenommen.
Ermittler durchsuchten bundesweit Häuser und Geschäftsräume. Zu der terroristischen Vereinigung gehören unter anderem der ominöse Prinz Reuss, eine ehemalige AfD-Bundesabgeordnete, Ärzte, Juristen, Soldaten und Polizisten. Als Oberhaupt einer neuen Staatsform hätte Reuss fungieren sollen.
Verspäteter Prozessbeginn
Wegen des grossen Andrangs vor dem Gerichtsgebäude startete das Verfahren mehr als eine Stunde später als geplant. Verhandelt werden soll bis ins kommende Jahr hinein.
Für welche Überzeugung steht die «Reichsbürger»-Gruppe?
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Für die «Reichsbürger» existiert das Deutsche Reich weiter. Das gab es von 1871 bis 1945. Daraus leiten sie ihren Namen ab. Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Gesetze erkennen sie nicht an. Für welche Überzeugung die Gruppierung steht, erklärt Jan Rathje. Er forscht seit zehn Jahren zur Bewegung der Reichsbürger.
«In der Gruppierung kommen verschiedene Strömungen aus dem souveränistischen Milieu zusammen. Letztlich führt sie der Glaube zusammen, dass der Staat, in dem sie leben, Mittel einer bösartigen Verschwörung ist. Dieser verfolge letztlich das Ziel, ihre Eigengruppe, in den meisten Fällen das deutsche Volk, auszulöschen. Sie streben ein souveränes Deutschland, oder sich selbst für souverän zu erklären, an. Also eine Resouveränisierung einer vermeintlich fehlenden Souveränität. Bei der Gruppe Reuss wurde ein sehr starker Bezug auf ein historisches Deutsches Reich gesetzt, gerade auch auf das Kaiserreich.»
Die Reichsideologie ziele grundsätzlich auf Gewalttaten in letzter Konsequenz ab, eben weil sie sich in ihrer Existenz bedroht sähen. Bei der Gruppe Reuss zeige sich, wie stark sich dieses Milieu inzwischen radikalisiert und professionalisiert habe, sagt Rathje. «Zum einen hat die Gruppe sehr viele Ressourcen angesammelt an Waffen, Munition, Geld. Besonders besorgniserregend ist jedoch, dass sie aktiv rekrutiert haben. Sie haben sich vor allen Dingen auf professionelle Kreise bezogen wie Polizistinnen und Soldaten, bis hin zu ehemaligen KSK, also Kommando-Spezialkräfte-Soldaten der Eliteeinheit der deutschen Bundeswehr.»
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