Der bisher längste Streik im britischen Gesundheitssystem NHS ist heute Morgen zu Ende gegangen. Die Assistenzärztinnen und -ärzte forderten in ihrem Arbeitskampf 35 Prozent mehr Lohn. Sie sprachen dabei explizit von einer «Wiederherstellung» des Lohns auf dem Niveau, wie es vor 15 Jahren war.
Die Spitäler liefen in den vergangenen sechs Tagen buchstäblich auf Sparflamme: Rund die Hälfte der 75'000 «Junior Doctors» hatte sich dem Streik angeschlossen und war der Arbeit ferngeblieben. 200'000 Behandlungen und Operationen mussten deshalb abgesagt werden.
Umfragen: Unmut in der Bevölkerung wächst
Die Bevölkerung war vor dem Streik aufgerufen worden, möglichst nicht krank zu werden und zu Hause zu bleiben, um das Gesundheitswesen nicht unnötig zu belasten.
Die Wartelisten beim kostenlosen National Health Service NHS waren bereits vor dem Streik unendlich lang. Nun sind sie noch länger geworden. Fast acht Millionen Britinnen und Briten warten auf eine Behandlung.
Laut jüngsten Umfragen kritisiert mittlerweile die Hälfte der britischen Bevölkerung den jüngsten Streik. Bereits vor Weihnachten hatten die Fachärztinnen und -ärzte gestreikt, zuvor mehrfach das Pflegepersonal.
Kaum Aussichten auf Erfolg
Was die Lohnforderung der «Junior Doctors» von 35 Prozent betrifft, so liegt seit einigen Wochen ein Angebot der Regierung von gut acht Prozent auf dem Tisch. Mehr wird wohl nicht möglich sein.
Britannien ist hochverschuldet und kann sich angesichts der Begehrlichkeiten von anderen Berufsgruppen etwa im öffentlichen Verkehr kein Präjudiz leisten. Für Premier Rishi Sunak ist der Streik ein denkbar schlechter Start ins Wahljahr 2024.
Lohn der «Junior Doctors»
Die streikenden Assistenzärztinnen und -ärzte argumentieren unter anderem, dass ihr aktueller Stundenlohn dem eines Barista in einer Café-Bar entspreche. Mit umgerechnet rund 40'000 Franken ist das Gehalt für einen «Junior Doctor» im ersten Berufsjahr im Vergleich zur Schweiz ziemlich tief.
Nach fünf Jahren erreicht ein Arzt laut Lohnstatistik ein Einkommen von rund 60'000 Franken, was für britische Lohnverhältnisse durchaus valabel ist. Der britische Durchschnittslohn liegt bei rund 25'000 Franken.
NHS – dauerhaft überfordert und doch geachtet
Das Gesundheitssystem NHS ist auf den ersten Blick beeindruckend. Man bekommt etwa eine Grippeimpfung oder Behandlung einfach gratis. Doch die staatlich finanzierte Medizin für alle funktioniert im Alltag nur rudimentär.
Der NHS ist dabei im Vergleich zu anderen europäischen Gesundheitswesen nicht schlechter finanziert. Es fehlt also nicht einfach an Geld. Doch kritische Stimmen sehen darin ein ineffizientes staatliches Monopol, ein sozialistisches Gesundheitssystem. Trotz aller Unzulänglichkeiten wird dieses System von einer grossen Mehrheit der Bevölkerung bis heute fast religiös verehrt.