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Religiöse Unabhängigkeit Die Ukraine will sich von der russisch-orthodoxen Kirche lösen

Die Ukraine verdächtigt die moskautreue orthodoxe Kirche der Zusammenarbeit mit dem Aggressor. Das führt zu Konflikten.

Die Kirche St. Georg befindet sich in einem ruhigen, grünen Quartier im Zentrum der Stadt Lwiw. Erbaut wurde das Gotteshaus Ende des 19. Jahrhunderts für die orthodoxen Gläubigen der multikulturellen Stadt. Bis vor kurzem gehörte St. Georg zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Doch das ist nun vorbei.

Mann mit Kreuz.
Legende: Vater Oleg – Vorsteher der St.-Georg-Kirche. Die Kirche gehört neu zur nationalen orthodoxen Kirche der Ukraine und nicht mehr zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. SRF

Im Halbdunkel der Kirche, vor der prächtigen Ikonostase, feiert Vater Oleg den Gottesdienst. Er trägt eine schwarze Robe und ein schweres goldenes Kreuz um den Hals. Die Liturgie zelebriert er in ukrainischer Sprache – und nicht mehr altkirchenslawisch, wie noch bis vor kurzem. Am 5. April dieses Jahres habe die Kirchgemeinde beschlossen, zur nationalen orthodoxen Kirche der Ukraine überzutreten, erzählt Vater Oleg. Diese ist vollkommen unabhängig von Moskau (vgl. Box). Ähnliches geschah mit den anderen zwei Kirchen in Lwiw, die noch zum Moskauer Patriarchat gehörten.

Die nationale orthodoxe Kirche

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Die nationale orthodoxe Kirche der Ukraine entstand im Zuge der Unabhängigkeit des Landes. Man wollte sich auch in religiöser Hinsicht der Kontrolle Russlands entziehen. Die Gründung erfolgte 2019, damals wurde die neue ukrainisch-orthodoxe Kirche vom Patriarch von Konstantinopel offiziell anerkannt. Moskau verurteilte diesen Schritt, der russische Patriarch Kirill sieht die russisch-orthodoxe als die einzig wahre Kirche. In den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine ist nur die russisch-orthodoxe Kirche zugelassen. Seit 2019 sind in der Ukraine viele ukrainische Gemeinden des Moskauer Patriarchats zur nationalen Kirche übergetreten – ein Prozess, der sich seit der Grossinvasion Russlands 2022 noch beschleunigt hat.

Einige der Priester hätten beim Wechsel mitgemacht, andere nicht, sagt Vater Oleg. Wo Letztere jetzt sind, weiss er nicht. Manche hätten wohl in den verbliebenen prorussischen Kirchen in anderen Regionen der Ukraine Unterschlupf gefunden. Er selbst gehört der ukrainischen Nationalkirche an und wurde im April als Vorsteher der Kirchgemeinde St. Georg eingesetzt.

Angst vor geistlichen Spionen

Hinter all dem steckt der Vorwurf, die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats arbeite mit Russland zusammen und betreibe prorussische Propaganda. Geistliche sollen dem Feind sogar wichtige Informationen weitergegeben haben. Die Behörden haben in den letzten Monaten im ganzen Land Kirchen und Klöster durchsucht und Strafverfahren eröffnet.

Die Kirche St. Georg in Lwiw

Die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats weist die Vorwürfe zurück. Sie bezog kurz nach Beginn der russischen Invasion Stellung gegen den Krieg und distanzierte sich von der russisch-orthodoxen Mutterkirche. Doch solange sie nicht komplett mit Moskau bricht, bleibt der Verdacht, dass sie im Dienste Russlands steht. Denn nach wie vor ist der russische Patriarch Kirill ihr Oberhaupt. Und Kirill ist ein vehementer Befürworter des russischen Krieges gegen die Ukraine. Er sieht Russland in einem metaphysischen Kampf des Guten gegen das Böse.

Abt in Untersuchungshaft

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Der Abt des weltberühmten Kiewer Höhlenklosters, Pawlo, wurde von einem Gericht der ukrainischen Hauptstadt am 15. Juli 2023 in Untersuchungshaft genommen. Pawlo werden die Rechtfertigung des russischen Angriffskriegs und nationale Hetze vorgeworfen. Die U-Haft gilt bis zum 14. September.

Die ukrainischen Behörden gehen immer häufiger gegen die Mönche der ukrainisch-orthodoxen Kirche vor. Selenski sieht die Kirche von moskautreuen Spionen durchsetzt. Tatsächlich war die ukrainisch-orthodoxe Kirche bis zum Kriegsbeginn eng mit dem Moskauer Patriarchat verbandelt. Erst danach hat sie sich von Moskau losgesagt. Trotzdem gilt sie in Kiew als politisch unzuverlässig. Die politische Führung will daher das Kiewer Höhlenkloster an die noch junge nationale orthodoxe Kirche der Ukraine übergeben.

Kein Wunder, sind in der Ukraine viele orthodoxe Kirchgemeinden zur nationalen Kirche gewechselt und mit ihnen viele Gläubige. Die prorussische orthodoxe Kirche hat einen massiven Vertrauensverlust erlitten. So ging es auch dieser alten Frau, die vor der St.-Georg-Kirche auf den Priester wartet. Sie habe sich früher nie Gedanken gemacht, sagt sie: Das hier sei einfach die nächstgelegene orthodoxe Kirche gewesen, und niemand habe ihr gesagt, wohin die Spendengelder gingen – nämlich nach Moskau.

Nicht alle Kirchen lösen sich von Russland

Nur 140 Kilometer östlich von Lwiw, im Städtchen Potschajiv, erhebt sich auf einem Hügel ein prächtiges und sichtlich wohlhabendes Kloster. Es ist dem Moskauer Patriarchat unterstellt und ein wichtiges religiöses Zentrum. An diesem Sonntagmittag wimmelt es von Besuchern und Gläubigen. Eine 35-jährige, elegant gekleidete Frau ist extra aus Lwiw angereist. Sie erzählt, ihre Kirche sei geschlossen worden. Ein Übertritt zur ukrainischen Nationalkirche komme für sie nicht infrage.

Das Kloster in Potschajiv

Doch was tut sie, wenn auch das Kloster Potschajiv in andere Hände übergeht? Denn auch die Mönche dieses Klosters stehen unter dem Verdacht der Kollaboration mit den Russen. Die Frau sagt: «Wir werden dafür beten, dass sie uns dieses Heiligtum nicht wegnehmen. Wer das wagt, der wird schnell die Strafe Gottes spüren.» Gut möglich, dass sie damit das wiederholt, was die Geistlichen den Gläubigen predigen. Allerdings hat das Kloster Potschajiv eine wechselhafte Geschichte hinter sich und war nicht immer russisch-orthodox: Zeitweise gehörte es zur griechisch-katholischen Kirche, die in der Westukraine sehr verbreitet ist.

Mönch will nichts von Politik wissen

Und was sagen die Verantwortlichen des Klosters zur Anschuldigung, sie seien ein Sicherheitsrisiko für den ukrainischen Staat? Trotz mehrfachen Nachfragens ist niemand bereit, offiziell Stellung zu nehmen. Ein ranghoher Mönch sagt schliesslich widerwillig, die Vorwürfe der Behörden entbehrten jeder Grundlage. Ihr Kloster habe nichts mit Politik zu tun.

Gesprächiger sind drei alte Frauen, die dem weitläufigen Kloster einen Besuch abstatten. Früher habe niemand darauf geachtet, in welche orthodoxe Kirche er gegangen sei, sagen sie. Nun aber herrschten Zank und Feindseligkeit zwischen den Gläubigen. Der Grossangriff Russlands auf die Ukraine hat dazu geführt, dass sich das Land auch religiös vom aggressiven grossen Nachbarn loslöst. Und auch das ist mit grossen Schmerzen und Konflikten verbunden.

Raketenangriff auf orthodoxe Kirche

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Am 23. Juli 2023 hat eine russische Rakete die wichtigste orthodoxe Kirche der Hafenstadt Odessa schwer beschädigt. Die Verklärungskathedrale gehört zur orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, sie wurde unter Stalin gesprengt, Anfang der 2000er Jahre aber wieder aufgebaut und 2010 von Patriarch Kirill geweiht. Die Zerstörung dieses Kulturerbes durch Russland hat enorme Empörung hervorgerufen. Der orthodoxe Erzbischof von Odessa schrieb einen geharnischten offenen Brief an Patriarch Kirill, in dem es unter anderem heisst: «Beendet das Blutvergiessen! Eure Bischöfe und Priester segnen Panzer und Raketen, die unsere friedlichen Städte bombardieren.» Er, Kirill, zerstöre mit seinen Taten die Einheit der «Heiligen Rus», die er doch immer beschwöre, so der Erzbischof. Es kann gut sein, dass der Angriff auf Odessa schlussendlich dazu führt, dass nun auch die ukrainisch-orthodoxe Kirche ganz mit dem Moskauer Patriarchat bricht.

Echo der Zeit, 18.7.23, 18 Uhr

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