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Richtungsweisende Landtagswahl ÖVP droht historische Niederlage in Tirol

Der ÖVP droht nach dem unrühmlichen Abgang ihres Kanzlers ein massiver Stimmenverlust. Das könnte selbst die Bundesregierung in Wien ins Wanken bringen.

Der Journalist Michael Sprenger ist Ressortleiter bei der «Tiroler Tageszeitung». Er rechnet bei der Wahl am nächsten Sonntag mit einem politischen Erdbeben. «Die Berge werden zwar noch stehen, aber für viele Tiroler wird der Inn aufwärts fliessen.» Das ist eine bildliche Umschreibung dafür, dass die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) in Tirol erstmals in ihrer Geschichte unter 30 Prozent fallen könnte.

Hier spielt die Bundespolitik massiv hinein.
Autor: Michael Sprenger Leiter Ressort Innenpolitik, «Tiroler Tageszeitung»

«Der Verlust der ÖVP, von dem ich ausgehe, ist nicht erklärbar mit reinen landespolitischen Themen. Hier spielt die Bundespolitik massiv hinein», ist Sprenger überzeugt. Sprich: der Korruptionsverdacht, unter dem die ÖVP in Wien steht. Es geht um massive Vorwürfe an die Adresse des vor knapp einem Jahr zurückgetretenen ÖVP-Kanzlers Sebastian Kurz.

Keine Lösung für Tiroler Sorgen

Unter ihm soll die ÖVP Wahlumfragen gefälscht und in Zeitungen publiziert haben, bezahlt mit Steuergeld. Noch ist niemand verurteilt, doch die gut belegten Korruptionsvorwürfe wiegen schwer. Sprenger nennt weitere Ursachen für das prognostizierte Debakel der Tiroler ÖVP.

Zum Beispiel die Teuerung – ein internationales Problem, das aber auch das Sorgenbarometer in Tirol in die Höhe treibt. Zusätzlich nennt er hausgemachte, Tiroler Probleme. Die Wohnungsnot, aber auch das Transitproblem. «Diese beiden mega Themen landespolitischer Natur wurden von der ÖVP nie einer Lösung zugeführt», so Sprenger.

TV-Panel mit den Kandidaten in einem Studio
Legende: Die Wahlen im Bundesland Tirol sind ein Stimmungstest für die ÖVP, die in Tirol seit dem Zweiten Weltkrieg ohne Unterbruch regiert. (Bild: Spitzenkandidaten im ORF-Studio). IMAGO/Eibner Europa

Tirol ächzt unter Abgasen und viel Lärm. Und für viele ist Wohnraum vor allem in der Landeshauptstadt Innsbruck kaum mehr bezahlbar. Dafür machen viele jene Partei verantwortlich, die Tirol seit fast 80 Jahren regiert.

Lore Hayek ist Politologin an der Universität Innsbruck. Auch sie geht davon aus, dass die ÖVP in Tirol ihre dominierende Stellung am Sonntag einbüssen könnte. Sie verweist darauf, dass auch die Tiroler ÖVP in Skandale verstrickt sei. So wurde dieser Tage bekannt, dass die Jugendorganisation des Bauernbundes, eine Unterorganisation der ÖVP, öffentliche Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds erschlichen haben soll.

Hoffnungsvolle Liste Fritz, Neos oder FPÖ

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Wer könnte davon profitieren, wenn die Tiroler Konservativen tatsächlich ein historisch schlechtes Resultat einfahren? «Die, die am wenigsten profitieren, sind die Grünen, die aktuell der Koalitionspartner der ÖVP sind. Die anderen Parteien scheinen stark zu profitieren, insbesondere auch die zwei anderen kleinen Parteien, nämlich die Liste Fritz und die liberalen Neos», sagt Politologin Lore Hayek.

Die Liste Fritz entstand vor 15 Jahren. Sie wurde gegründet von Leuten, die schon damals von der ÖVP enttäuscht waren. Diese Liste sieht sich heute als Tiroler Bürgerinnen- und Bürgerforum mit stark sozialer Ausrichtung. Für viele Bürgerliche ist die Liste Fritz die attraktivere Alternative als die Sozialdemokraten, die im lange bäuerlich geprägten Tirol stets einen schweren Stand hatten. Auch die rechtsnationale FPÖ könnte von der Schwäche der ÖVP profitieren.

Diese seien eigentlich nicht für Parteiorganisationen vorgesehen gewesen. «Sie muss jetzt über 800'000 Euro zurückzahlen», weiss Hayek. Noch ist dieser Fall nicht restlos geklärt, aber in der breiten Öffentlichkeit entsteht das Bild einer für Korruption anfälligen Partei.

Schockwellen bis nach Wien

Was heisst das nun alles für den Bund, für Kanzler Karl Nehammer, der in Wien eine Regierung aus ÖVP und Grünen führt? Sprenger vermutet, dass ein ÖVP-Absturz in Tirol auch in Wien eine Krise auslösen wird. «Diese Regierung hat gemeinsam nicht einmal mehr 30 Prozent. Es gab seit 1945 noch nie eine Regierung, die in Umfragen so schlecht lag wie diese.»

Wir werden sehen, ob die Bundesregierung noch ihre gesamte Legislatur durchhält.
Autor: Lore Hayek Politologin, Universität Innsbruck

Nur noch 30 Prozent Zustimmung für ÖVP und Grüne im Bund: Das ist ein Alarmzeichen. Ein solches sieht auch Hajek: «Die Tiroler Landtagswahl wird wahrscheinlich ihre Schockwellen nach Wien werfen. Wir werden sehen, ob die Bundesregierung noch ihre gesamte Legislatur durchhält.» Sie spricht von grosser Politikverdrossenheit und einer fragilen Lage. Kein Zweifel: Österreichs Politik bleibt auch nach Kurz im Umbruch.

Echo der Zeit, 21.09.2022, 18:00 Uhr

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