Seit dieser Woche verfrachtet die Türkei Angehörige des IS in ihre Herkunftsländer zurück. Eine heikle Angelegenheit – denn was passiert mit den Mitgliedern der Terrormiliz im Herkunftsland? Die Rückführungen der Türkei kommen zudem für viele Länder unvermittelt. Journalist Thomas Seibert über die Gründe für den raschen Vollzug.
SRF News: Die Abschiebungen von IS-Kämpfern kommen für die meisten Herkunftsländer unvermittelt. Weshalb pressiert es der Türkei derart?
Thomas Seibert: Durch die Intervention im Norden Syriens, die vor einem Monat begann, hat die Türkei einige Hundert IS-Verdächtige mehr in Haft. Andererseits will die türkische Regierung Druck auf Europa machen. Sie erwartet mehr Hilfe von Europa beim Projekt zur Einrichtung einer Schutzzone in Syrien.
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas forderte die Türkei auf, Informationen über die geplanten Abschiebungen zu liefern. Ausserdem forderte er ausreichende Beweise für einen allfälligen Bezug zu Kampfhandlungen des IS, so dass die Personen in Deutschland vor Gericht gestellt werden könnten. Ist das realistisch?
Das kommt darauf an, um wen es geht. Bei Leuten, die von türkischen Soldaten im Norden Syriens aufgegriffen werden, hat die Türkei keine eigenen Beweismittel. Diese Leute sind meist aus Internierungslagern ausgebrochen. Dort kann die Türkei höchstens feststellen, dass eine Person vom IS kommt. Dann wird sie ausgeliefert.
Man stellt die Europäer mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen.
Anders ist es bei IS-Verdächtigen in der Türkei selbst. In türkischen Gefängnissen sitzen auch mehrere Hundert Ausländer. Dort haben die Türken eigene Untersuchungsergebnisse, die sie den Europäern zur Verfügung stellen könnten.
Ist die Türkei denn überhaupt willig, zu kooperieren?
In einigen Fällen auf jeden Fall. Man will diese Leute ja loswerden, das sagt der türkische Innenminister immer wieder. Aber dieses Ziel ist der Türkei wichtiger als das, was mit den Leuten in den Herkunftsländern passiert. Man stellt die Europäer mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen.
Unter den bisher bekannten 25 Fällen von Rückführungen sind 24 Europäer. Ist dieser hohe Anteil von Europäern repräsentativ für die Gesamtzahl der über tausend IS-Mitglieder, die in türkischer Haft oder Internierungslagern in Syrien sind?
In türkischer Haft sind mehrere Hundert Europäer. Insgesamt machen sie aber nicht die Mehrheit aus. Allerdings sind sehr viele IS-Gefangene in Lagern, die noch von syrischen Kurden beherrscht werden, also ausserhalb des türkischen Zugriffs.
Es ist wohl kein Zufall, dass 24 der 25 Fälle Europäer betreffen.
Man muss davon ausgehen, dass es noch weitere Rückführungen von Europäern geben wird, denn die Türkei möchte ja Druck auf die EU ausüben. Es ist wohl kein Zufall, dass 24 der 25 Fälle im Moment Europäer betreffen.
Die Türkei wählt also bewusst die Leute aus, die zurückgeführt werden sollen?
Die Staatsangehörigkeit spielt auf jeden Fall eine Rolle. Andere Kriterien sind wahrscheinlich die Vorwürfe, die man gegen diese Leute hat. Es gibt ja auch manche IS-Verdächtige, die bereits in der Türkei verurteilt sind, darunter sind auch ein Schweizer und mehrere Bundesbürger aus Deutschland. Die Türkei wird Europa auffordern, diese Personen möglichst schnell zurückzunehmen.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.