Menschenrechtsverletzungen an den EU-Aussengrenzen werden zu wenig verfolgt. Das zeigt ein neuer Bericht der EU-Grundrechteagentur. Griechenland sticht dabei besonders heraus: Obwohl es dort die grösste Zahl mutmasslicher Pushbacks gibt, gibt es keinerlei Verfahren gegen Grenzschützerinnen. Die Situation vor Ort kennt die Journalistin Rodothea Seralidou.
SRF News: Wie würden Sie die Situation an der griechischen EU-Aussengrenze beschreiben?
Rodothea Seralidou: Griechenland liegt auf einer sehr beliebten Route bei Flüchtlingen, die via Türkei nach Westeuropa wollen. Die Landesgrenze ist rund 200 Kilometer lang, und im Meer liegen viele griechische Inseln nahe am türkischen Festland – wie Lesbos, Samos oder Kos.
Menschen werden daran gehindert, die Grenze zu Griechenland zu überqueren und dort ein Asylgesuch zu stellen.
Allein dieses Jahr hätten bislang rund 20'000 Menschen Griechenland über das Meer erreicht, so das UNHCR. Doch nicht alle, die es versuchen, schaffen es auch: Seit Jahren berichten Menschenrechtsorganisationen von Pushbacks – dass Menschen daran gehindert werden, die Grenze zu Griechenland zu überqueren und dort ein Asylgesuch zu stellen.
Wie läuft ein Pushback konkret ab?
Laut Menschenrechtsorganisationen und Zeugen gibt es verschiedene Vorgehensweisen. So zieht etwa die griechische Küstenwache ein Flüchtlingsboot an einem Seil zurück in türkische Gewässer. In anderen Fällen sind Flüchtlinge schon weit auf griechisches Territorium vorgedrungen und werden mit Gewalt zur Grenze zurückgebracht. Manche NGOs sprechen dabei von regelrechten Entführungen durch griechische Polizisten oder Grenzbeamte.
Die Menschen werden auf Rettungsinseln sich selbst überlassen.
Auf den griechischen Inseln werden Ankömmlinge schon mal wieder hinausgeschleppt und auf sogenannten Rettungsinseln – das sind eine Art aufblasbare Flosse ohne Motor – zurückgelassen. Die Menschen werden also sich selbst überlassen und im besten Fall von der türkischen Küstenwache wieder an Land zurückgebracht.
Was sagt die griechische Regierung zu den Pushbacks?
Die seit 2019 regierenden Konservativen weisen alle Vorwürfe zurück und sprechen von Fakenews und türkischer Propaganda. Es heisst von den verantwortlichen Regierungsmitgliedern stets, man halte sich ans internationale Recht und man schütze die Menschenrechte. Und falls jemand Beweise dafür habe, dass dem nicht so sei, könne jederzeit bei der Staatsanwaltschaft ein Verfahren beantragen.
Kommt es denn zu Klagen?
Es kommt immer wieder zu Klagen, wenn auch wenigen. Meist werden die Betroffenen von NGOs dabei unterstützt. Zwischen 2020 und 2023 waren es laut der EU-Grundrechteagentur bloss 15 Fälle. Dass es so wenige Fälle sind, ist verständlich. Denn: Wie und wo sollen Flüchtlinge klagen? Die Polizei ist meist in die Pushbacks verwickelt – und schliesslich hoffen die Betroffenen auf einen positiven Asylentscheid. Da geht kaum jemand das Risiko einer Klage ein.
Die EU profitiert von den Pushbacks – so kommen weniger Menschen in die EU.
Der EU-Bericht zeigt mögliche Wege der Besserung auf, etwa transparentere Verfahren. Kann das in Griechenland etwas bringen?
Das könnte wohl schon etwas bringen, doch es sind ja bloss Vorschläge. Und Griechenland zeigt keinen Willen, Pushbacks an seiner Grenze zu verhindern oder zu bestrafen. Und die EU wiederum profitiert von den Pushbacks, so zynisch das tönt. Denn so kommen weniger Menschen in die EU und es kommt zu weniger sekundärer Migration in andere EU-Länder. Das ist wohl der wichtigste Grund, warum die illegale Praxis der Pushbacks toleriert, oder allenfalls bloss mit Worten verurteilt wird.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.
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