Das Finanzloch sei beträchtlich und die Lage beim ORF wirke tatsächlich dramatisch, sagt Medienjournalist Harald Fidler von der Wiener Tageszeitung «Standard»: «Das Problem ist, dass die achtprozentige und auf fünf Jahre kalkulierte Gebührenerhöhung bereits 2022 von der Teuerung aufgefressen wird.»
So fehlen in der ORF-Kasse bis zu 130 Millionen Euro jährlich, mehr als ein Zehntel des bisherigen Umsatzes. Ursachen sind stark gestiegene Energiekosten und Werbeausfälle.
Weniger zahlende Kundschaft
Doch auch die Zahl der Gebührenzahlerinnen und -zahler nimmt ab, weil immer weniger Leute ein TV- oder ein Radiogerät haben. Laut Gesetz darf der ORF Gebühren nur für empfangsbereite Geräte erheben, nicht aber für die Nutzung per Streaming. Wer also per Handy ORF konsumiert, tut dies gratis. So zahlen vor allem viele Junge keine Gebühr.
Im Sommer beurteile das Verfassungsgericht den Zustand als unrecht und gab der Politik den Auftrag, die ORF-Finanzierung bis Ende 2023 neu zu regeln. Dies werde vermutlich auf eine Budgetfinanzierung oder eine erweiterte Geräteabgabe hinauslaufen, schätzt Fidler.
Letzteres hält er nicht für klug, hätte es doch vermehrte unpopuläre Haus- oder Wohnungskontrollbesuche durch den Gebühren Info Service, die GIS, zur Folge. Auch eine generelle Haushaltsgebühr wie in der Schweiz sei wenig populär, weil es jene betreffen würde, die bisher nichts bezahlen. Bleibt also die direkte Finanzierung des ORF übers staatliche Budget mit Steuergeld. Ein System, wie es Frankreich gerade umsetzt.
Könnte der ORF abspecken?
Gibt es beim ORF auch Sparpotential? Fidler vom linksliberalen «Standard» hält dies für eine lohnenswerte Diskussion: «Es müsste einmal in einem Gesamtkonzept alles hinterfragt werden, was man macht.» Braucht der ORF zum Beispiel vier TV-Kanäle, zwölf Radio-Programme, ein Symphonieorchester und neun Landesstudios, also eines für jedes Bundesland?
Die Macht der Politik
Gerade die Landesstudios stehen zudem immer wieder im Verdacht, viel zu stark von der jeweiligen Landesregierung abhängig zu sein. Das sei etwas dran, sagt Fidler. So werde etwa der Landeshauptmann vom ORF-Generaldirektor vorweg angehört, wenn es um die Leitung des Landesstudios gehe.
Es sei zwar kein Mitsprache- aber ein Anhörungsrecht, das auch wahrgenommen werde. Ganz generell sei der politische Einfluss auf den ORF gross und der Stiftungsrat als oberstes Entscheidungsgremium des ORF zu mindestens zwei Dritteln politiknah besetzt.
Der Stiftungsrat als oberstes Entscheidungsgremium des ORF ist mindestens zu zwei Dritteln politiknah besetzt: Bundesregierung, Bundesländer, Parteien.
Wie weit der Einfluss der Politik auf den ORF gehen kann, zeigte sich vor einigen Wochen durch publik gewordene private Chats. So intervenierte der rechtsnationale Ex-Vizekanzler Strache bei einem ihm bekannten ORF-Chefredaktor, um gegen Sendungen oder Journalisten vorzugehen. «Freunderlwirtschaft» oder «Verhaberung», heisst das Österreich.
Glaubwürdigkeit als grösstes Kapital
Da ist es schon fast ein Wunder, dass dies das Programm des ORF bisher kaum tangiert. Fidler verweist diesbezüglich auf die vielen ORF-Journalistinnen und Journalisten, die trotzdem täglich kritisch und unabhängig berichteten.
Diese hohe Glaubwürdigkeit wird der ORF auf der Suche nach einer neuen Finanzierung geltend machen können. Ob damit das Finanzloch geschlossen werden kann, ist offen. Ein grösserer Abbau beim grössten Medienhaus Österreichs ist nicht ausgeschlossen.