Sie bezeichnet sich als apolitisch. Über Politik reden will sie – eigentlich – nicht mehr, lieber handelt sie. Im «Club» spricht Anwältin Natalia Lechbinskaya trotzdem – über den Krieg, Putin und ihre Geschichte.
Lechbinskaya ist vor 14 Jahren ins Visier von Russlands Präsident Wladimir Putin geraten. In Moskau vertrat sie drei Tochtergesellschaften des Erdölkonzerns Yukos, der dem Kreml-kritischen Oligarchen Michail Chodorkowski gehörte. 2003 räumte Putin seinen politischen Widersacher Michail Chodorkowski aus dem Feld und verschob ihn in ein Lager in Sibirien. 2006 ging der Konzern Konkurs, gegen Lechbinskaya wurde in Moskau ein Strafverfahren wegen «Betrug» eingeleitet.
«Yukos war ein Schauprozess, um allen zu zeigen: Wer gegen uns ist, dem droht dasselbe», sagt Lechbinskaya. Ursprünglich hat sie Physik studiert und mit «rotem Diplom» bestanden, was auf Russisch so viel heisst wie «mit Auszeichnung».
Doch dann entschied sie sich, Anwältin zu werden. 2000 herrschte in Russland Aufbruchstimmung: «Ich dachte, nach Jelzin und Gorbatschow kommt mit Putin ein gutes Regime.» Sie hoffte auf eine modernere Regierung, die den Kommunismus ablösen sollte. «Dann habe ich gemerkt, dass dem nicht so ist.»
Yukos war ein Schauprozess, um allen zu zeigen: Wer gegen uns ist, dem droht dasselbe.
Die Anwältin kam immer mehr unter Druck. Sie konnte ihre Klienten nicht mehr vertreten, denn das Recht hatte keine Gültigkeit mehr: «Vor Gericht hast du keine Chance, etwas zu beweisen. Es gilt, was der Staatsanwalt sagt», sagt sie. Chodorkowski wanderte ins Straflager. Lechbinskaya floh in die Schweiz.
Reputation von Lechbinskaya leidet
Doch damit war es für sie nicht vorbei. Zweimal stellte Russland ein Auslieferungsgesuch. Zweimal hat die Schweiz abgelehnt. 2014 verurteilte sie ein Gericht in Moskau zu acht Jahren Haft. Ein Umstand, der in der Schweiz zwar keine strafrechtlichen Folgen hat, der Reputation der Anwältin aber dennoch schadet. Wegen ihrer Vergangenheit fand sie keine Stelle als Anwältin in ihrem Bereich.
Einschüchtern liess sich Natalia Lechbinskaya davon nicht. Sie gründete eine Online-Plattform, auf der sie Osteuropäerinnen und Osteuropäer rechtliche und administrative Beratung bietet. «Ich wusste ja, wie es ist, wenn man in einem fremden Land neu anfangen muss», sagt sie.
Seit dem russischen Angriffskrieg ist die Beratung für ukrainische Geflüchtete kostenlos. Es gibt aber auch Russinnen und Russen, die sich bei ihr melden. Menschen, die den Krieg kritisieren und Angst haben vor Putins Repression. Rund 100 Anfragen am Tag beantwortet sie neben ihrem Hauptberuf.
Diesen Krieg haben Politiker angefangen, aber darunter leiden wie immer die Menschen.
Ihre Eltern glauben der russischen Propaganda. Für Lechbinskaya ist das schwierig. Sie liebt ihre Eltern und betont, dass es gute Menschen seien, doch die Geheimdienst-Methoden im Fernsehen, die Indoktrinierung, die sei auch bis zu ihnen vorgedrungen: «Es ist traurig zu sehen, dass sie glauben, Putins Armee würde die Ukraine von Nationalisten befreien und nicht Wohnhäuser bombardieren und Zivilisten töten. Die Propaganda hat einen massiven Einfluss auf die Menschen, sie sind wie verhext.»
Und so hält sich Natalia Lebinsksaya lieber aus der Politik heraus und hilft, wo sie kann: «Diesen Krieg haben Politiker angefangen, aber darunter leiden wie immer die einfachen Menschen.»