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Russische Luftangriffe Was, wenn Russland den Krieg gewinnt?

Russlands Präsident Putin führt den vor bald zwei Jahren begonnenen Angriffskrieg auf die Ukraine unvermindert fort, jeden Tag werden ukrainische Zivilisten getötet. Die Ukraine müsse dringend stärker vom Westen unterstützt werden, fordert der deutsche Militärexperte Nico Lange.

Nico Lange

Sicherheitsexperte

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Der Politikwissenschaftler Nico Lange ist Militärexperte und u.a. Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Er hat Lehraufträge am Lehrstuhl für Militärgeschichte der Universität Potsdam und an der Hertie School of Governance in Berlin. Von 2019 bis 2022 war Lange Leiter des Leitungsstabes im deutschen Verteidigungsministerium.

SRF News: Sie warnen in eindringlichen Worten vor einem russischen Sieg – warum gerade jetzt?

Nico Lange: Wladimir Putin hat offensichtlich nicht vor, mit dem Krieg aufzuhören oder sich auf einen Waffenstillstand einzulassen. Zudem laufen wir durch innenpolitische Diskussionen im Westen Gefahr, dass sich Putin zum Weitermachen ermutigt fühlt, weil die Unterstützung für die Ukraine nachlassen könnte. Insbesondere in der deutschen Politik wurde auch nie ausdiskutiert, ob wir der Ukraine deshalb helfen, weil sie angegriffen wurde oder ob auch unsere eigene Sicherheit direkt betroffen ist – wobei ich Letzteres glaube.

Wann hätte in Ihren Augen Russland einen Sieg erreicht?

Putin lässt keinen Zweifel daran, was er vorhat: Er will die Existenz der Ukraine als eigenständigen Staat beenden. Sie soll Teil eines grösseren russischen Reichs werden.

Putin will Europa dominieren.

Auch sagt Putin, dass Russland keine geografischen, juristischen oder politischen Grenzen hat. Er meint das ernst und will seinen Herrschaftsbereich ausdehnen – Putin will Europa dominieren.

Was würde ein Sieg Putins für Europa bedeuten?

Seit Jahren setzt Putin militärische Gewalt ein, um seine Interessen durchzusetzen. Offensichtlich hat er überhaupt kein Interesse daran, Russland friedlich weiterzuentwickeln. Wenn man ihn in der Ukraine gewähren lässt, wird er nach Neuaufstellung der russischen Kräfte neue militärische Schritte ergreifen. Die Ziele hat er bereits genannt: Moldau, Georgien oder die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Das muss man ernst nehmen.

Artillerie schiesst, ein Soldat hält sich die Ohren zu.
Legende: Die Ukraine brauche mehr Unterstützung des Westens, um die Russen aus dem Land zu vertreiben, sagt Nico Lange. Reuters/Thomas Peter

Welche konkrete Unterstützung fordern Sie also für die Ukraine?

Wir müssen begreifen, dass es auch um unsere Sicherheit geht. Und dann müssen wir ein Ziel formulieren, wieso man die Ukraine unterstützt. Dieses sollte lauten, dass die Ukraine die russischen Truppen aus dem ukrainischen Staatsgebiet vertreiben muss. Danach muss man die für dieses Ziel notwendigen Ressourcen mobilisieren. Insbesondere müssen die Produktionskapazitäten für Munition, Waffen oder Ersatzteile erhöht werden – in der Ukraine, aber auch in Europa.

Die Europäer müssen jetzt vorsorgen für die eigene Sicherheit und für die Ukraine.

Denn wir sprechen von einem langen Krieg, bei dem die Industrieproduktion eine sehr wichtige Rolle spielt. Und mit Blick auf die USA kommt es jetzt ganz besonders auf die Europäer an. Dabei muss man die innenpolitischen Diskussionen darüber, wie man der Ukraine weiter helfen soll, durch Führung und gute Argumente gewinnen. Die Europäer dürfen sich nicht einfach darauf verlassen, dass es in den USA schon gut gehen wird – sie müssen jetzt vorsorgen für die eigene Sicherheit und für die Ukraine.

Wie realistisch ist es, dass Putin in der Ukraine gewinnt?

Die Gefahr ist tatsächlich realistisch. Und es hilft nicht, einfach nur auf das Beste zu hoffen und darauf, dass das Problem von allein gelöst wird. Wir sind betroffen und müssen das Problem lösen.

Wir sind diejenigen, die eingreifen und das Problem lösen müssen.

Es ist so ähnlich, wie wenn man Zeuge eines Unfalls wird und hofft, dass jemand etwas von Erster Hilfe versteht, der sich um die Verletzten kümmert. Die Erkenntnis der Zeitenwende ist doch, dass wir diejenigen sind, die eingreifen und das Problem lösen müssen. Das aber ist in den Köpfen in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Staaten, bisher nicht angekommen.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

Echo der Zeit, 3.1.2024, 18:00 Uhr ; 

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