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Schlacht nur verschoben? «Terroristen sollen von der Zivilbevölkerung getrennt werden»

Die Provinz Idlib steht im Brennpunkt des Krieges in Syrien. Was die demilitarisierte Zone bewirkt, sagt ein Experte.

Die Assad-Regierung begrüsst die Einigung zwischen Russland und der Türkei, eine entmilitarisierte Zone in der umkämpften Provinz Idlib einrichten zu wollen. Man habe Lösungen, die zu einem Ende des Blutvergiessens und zur Sicherheit beitragen, immer gutgeheissen, heisst es aus Damaskus.

Gleichzeitig werde der Kampf gegen Terroristen in Syrien weitergehen, bis das ganze Land befreit sei. Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, bis vor wenigen Tagen leitete er auch eine Verhandlungsgruppe der Vereinten Nationen zum Syrienkrieg. Er sagt, wofür die demilitarisierte Zone gut sein könnte.

Volker Perthes

Politologe

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Der deutsche Politikwissenschaftler ist seit 2005 Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP in Berlin.

SRF News: Wie interpretieren Sie die Aussagen der syrischen Regierung?

Volker Perthes: Ich glaube, es gibt zwei wichtige Nachrichten in dieser Aussage. Man wird erstens weiter dafür kämpfen, dass das ganze Land befreit wird, dass das ganze Land wieder unter Regierungskontrolle kommt. Insofern ist die Schlacht um die Provinz Idlib nicht abgeblasen, sondern allenfalls verzögert. Die andere Nachricht ist, dass sich die syrische Regierung nicht gegen die sehr starken Wünsche der russischen Verbündeten wehren können. Ohne sie ist die Regierung nicht in der Lage, Territorium zu befreien.

Die Türkei versucht, Führer dieser terroristischen Organisationen zu verhaften oder zu neutralisieren oder einzelnen einen Ausweg ins zivile Leben zu schaffen.

Ein Sprecher der Freien Syrischen Armee hat gesagt, diese Pufferzone begrabe Assads Träume, ganz Syrien unter seine Kontrolle zu bringen. Sehen Sie das auch so?

Ich denke nicht, dass das so ist. Ich denke, dass das Problem verkleinert worden ist. Das Gebiet, das die Rebellen mit türkischer Hilfe halten, ist verkleinert worden. Bestimmte strategische Infrastruktur fällt nach und nach zurück an die Regierung in Damaskus. Man hofft auf türkischer und russischer Seite, dass sich das Problem mit den radikalsten Kämpfern auf Rebellenseite auf stille Art lösen lässt. Die Türkei versucht, Führer dieser Organisationen zu verhaften oder zu neutralisieren oder einzelnen einen Ausweg ins zivile Leben zu schaffen.

Es gibt einen harten und wirklich schlimmen Kern von geschätzt etwa 2000 russischsprachigen Terroristen der Nusra-Front und ihrem Umfeld, von denen Russland sehr klar sagt, «wir wollen nicht, dass die zu uns zurückkommen.»

Ab Ende Oktober soll eine 15 bis 20 Kilometer breite, demilitarisierte Zone entstehen. Haben Sie zusätzliche Details, wie man diese umsetzen will und was damit für wen gewonnen wäre?

Gewisse militärische Infrastruktur existiert schon. Das sind zwölf Beobachtungsstationen der türkischen Armee innerhalb der Provinz Idlib und eine ähnliche Anzahl von Beobachtungsstationen der russischen Armee. Die können genutzt werden, um von dort aus Patrouillen zu machen. Insofern gehe ich davon aus, dass das von den Rebellen kontrollierten Gebiet noch etwas weiter geschrumpft werden wird.

Es gibt in der Provinz Idlib laut Schätzungen rund 10’000 radikal islamistischer Kämpfer, allein bei der ehemaligen Nusra-Front. Was soll mit diesen Terroristen geschehen?

Das Codewort lautet, dass die Terroristen von der moderaten Opposition getrennt werden sollen. Und auch von der Zivilbevölkerung. Das macht es leichter, Krieg gegen sie zu führen. Deshalb werden sie sich nicht freiwillig darauf einlassen. Einen Teil dieser Kämpfer wird man vermutlich überzeugen können, ins zivile Leben zurückzukehren. Das gilt für viele der einfachen Leute, die in den letzten sieben, acht Jahren nichts anderes gelernt haben als zu kämpfen. Ein Teil der Führer wird vermutlich mit türkischer Hilfe oder der Hilfe anderer Rebellenorganisationen ausgeschaltet werden.

Dann gibt es einen harten und wirklich schlimmen Kern von geschätzt etwa 2000 russischsprachigen Terroristen der Nusra-Front und ihrem Umfeld, von denen Russland sehr klar sagt, «Wir wollen nicht, dass die zu uns zurückkommen.» Sie dürfen das Gebiet nicht lebend verlassen und gegen die, denke ich, wird früher oder später doch Krieg geführt werden.

Noch vor wenigen Tagen machten sich Russland und Iran für eine Offensive auf Idlib stark. Die Türkei als dezidierter Gegner dieser Pläne stand im Abseits. Jetzt ist Erdogan gewissermassen der Sieger dieser neuesten Einigung. Wie ist das zu verstehen?

Erdogan hat seinen Einfluss sehr früh deutlich gemacht, das ist eindeutig so. Das ist im Interesse all derer, die eine humanitäre Katastrophe in Idlib verhindern oder zumindest verzögern wollten. Das hat er richtig gemacht. Gleichzeitig ist er nicht eindeutig der Sieger, denn er hat das Problem mit den Terroristen zugeschoben bekommen.

Die Türkei hat schon ein türkisch kontrolliertes Gebiet zwischen dem kurdischen Afrin und dem Euphrat im Norden Syriens eingerichtet.

Ob er es schafft, diese Organisation zu zerschlagen und ihre Führer zu neutralisieren, wird der Standard sein, an dem er von Russland gemessen wird. Russland wird entscheiden, ob es nicht doch irgendwann eine Offensive der syrischen Regierungstruppen unterstützt. Was wichtig ist, denke ich, dass Erdogan hier von internationaler Diplomatie und auch von den Vereinten Nationen unterstützt worden ist. Russland hat kein Interesse, eine humanitäre Katastrophe auszulösen, wenn man sie vermeiden kann. Insofern haben wir hier tatsächlich den Versuch einer diplomatischen Zwischenlösung für eine sehr schwierige Situation.

Aber das Ziel Russlands bleibt, dass die Provinz Idlib wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung kommt?

Daran lässt Russland keinen Zweifel. Sehr deutlich wird dies auch von der höchsten Staatsspitze gesagt, dass Syrien als souveräner Staat das Recht hat, sein gesamtes Territorium zu kontrollieren. Ich denke mir, dass es eine mehr oder weniger klare, nichtöffentliche Absprache zwischen Moskau und Ankara – vielleicht sogar zwischen Moskau, Ankara und Teheran – darüber gibt, dass die Türkei auf eine absehbare Zeit zumindest eine Pufferzone entlang ihrer Grenze zu Syrien kontrolliert.

Das dürfte sowohl in der Provinz Idlib der Fall sein als auch dort, wo die Türkei jetzt schon mit Truppen steht. Die Türkei hat nämlich schon ein türkisch kontrolliertes Gebiet zwischen dem kurdischen Afrin und dem Euphrat im Norden Syriens eingerichtet.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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