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Städter polarisierter als Landbewohner?
Aus Echo der Zeit vom 31.07.2023. Bild: KEYSTONE/Marcel Bieri
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Schlagwort «Polarisierung» Eingebildete Städter und engstirnige Linke – was ist dran?

Ein Team des Mercator Forum Migration und Demokratie (Midem) an der Technischen Universität Dresden hat kürzlich 20'000 Menschen in zehn Ländern Europas befragt und wollte wissen, wie es um die Polarisierung in der Gesellschaft steht.

Seither war zu lesen, dass Städter polarisierter als Landbewohner seien und dass Linke andere Meinungen schlechter aushielten als Rechte. Midem-Direktor Hans Vorländer relativiert und präzisiert diesen pointierten Schluss.

Hans Vorländer

Hans Vorländer

Politologe

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Der deutsche Politikwissenschaftler ist Professor für politische Theorie an der Technischen Universität Dresden. Er ist dort zudem Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung.

SRF News: Linke halten andere Meinungen schlechter aus als Rechte. Ist das ein Fazit der Studie?

Hans Vorländer: Das Fazit ist etwas anders: Linke wie auch rechte Gruppierungen sind besonders affektiv polarisiert. So war es in allen zehn untersuchten Ländern besonders bei den Reizthemen Klimawandel und Migration. Hier konnten die stark polarisierenden Effekte in den entsprechenden Gruppen gemessen werden. Es zeigte sich also, dass Linke ganz bestimmte Meinungen schlechter aushalten und ebenso ist das bei den Rechten bei bestimmten Themen der Fall.

Linke wie auch rechte Gruppierungen sind besonders affektiv polarisiert.

Im Klimawandel sind grün-ökologisch-linke Positionen viel stärker affektiv polarisiert, während bei der Migration keine so grossen Unterschiede zwischen links und rechts zu beobachten sind. Zugleich sind bei der Migration zumindest in Deutschland rechte Positionen noch stärker affektiv polarisiert. Ähnliche Muster zeigen sich links und rechts auch bei anderen Themen wie Sozialleistungen und Wohlfahrtsstaat, Gleichstellung von Frauen und Männern oder Schutz sexueller und anderer Minderheiten.

Wie kommt es zu diesem Mustern?

Diese interessante Frage kann die Studie in monokausalen Ableitungszusammenhängen nicht beantworten. Man sieht aber, dass die politische Selbsteinordnung eine bedeutende Rolle spielt. Wer sich etwa in Deutschland sehr stark mit der AfD solidarisiert, ist bei der Frage Migration sehr stark affektiv polarisiert. Wer ein sehr ausgeprägtes Umweltbewusstsein hat, ist stark solidarisch mit grünen Parteien. Es gibt aber auch Unterschiede. So ist bemerkenswert, dass gut ausgebildete, in Städten lebende Personen oft mit höherem Einkommen zum Teil stärker polarisiert sind als Menschen, die formal weniger gut ausgebildet sind.

Sie glauben zu wissen, was zu tun ist und sind darum ablehnender gegenüber Andersdenkenden.

Wie lässt sich das erklären?

Da gibt es diverse Vermutungen: Vielleicht hat es damit zu tun, dass Menschen in Städten eine sehr enge soziale Interaktion haben, die eventuell stärker ist als auf dem Land. Möglicherweise haben sie eine stärkere Überzeugung, mehr politischen Gestaltungswillen und bewegen sich in stärker ausgebildeten Blasen. Sie glauben zu wissen, was zu tun ist und sind darum ablehnender gegenüber Andersdenkenden.

Eine Demokratie lebt vom Austausch und starken Überzeugungen. Ab wann ist ein Kurs polarisiert?

Wenn aus Gegnerschaft Feindschaft wird und die Toleranz für eine vernünftige Streitkultur verloren geht. Wenn Gruppen Andersdenkende ausgrenzen und deren Legitimität bestreiten, zu vernünftigen Entscheidungen beitragen zu können. Demokratien leben vom Kompromiss, die Abwertung anderer Gruppierungen ist hochproblematisch.

Laut Studie sind 20 Prozent der Befragten sehr polarisiert, ein gleicher Anteil schwach bis gar nicht. Ist das die gute Nachricht?

Das ist eine gute Nachricht. Es zeigt: Die Mitte ist nicht so stark oder gar nicht polarisiert. Eine stabile Demokratie braucht eine starke Mitte. Das Problem ist womöglich, dass Wissenschaft und Medien stärker auf die laut schreienden Ränder schauen, da dort das hohe Polarisierungspotenzial liegt.

Polarisierung messen – mit «Gefühlsbarometer»

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Affektive Polarisierung misst man mit einem sogenannten «Gefühlsthermometer» aufgrund gezielter Fragen, wie Midem-Direktor Hans Vorländer erklärt, der an der Studie mitgearbeitet hat:

Dabei befragt man die Personen zuerst nach ihren politischen Einstellungen zu bestimmten Themen. Über die politischen Positionen und Themen lässt sich dann die Verteilung identifizieren.

Dann kommt die Frage, wie sie Menschen mit ganz anderer Auffassung beurteilen und ob dies bei ihnen positive oder negative Gefühle auslöst. Ebenso wird gefragt, wie gross die Sympathie zu Menschen mit gleicher oder ähnlicher Meinung ist. Das bildet schliesslich die Distanzen zwischen den unterschiedlichen Gruppen auf einer Skala laut Vorländer ganz gut ab.

Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.

Echo der Zeit, 31.07.2023, 18:00 Uhr;

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