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Scholz vor Parlamentsausschuss Erinnerungslücken: Wie Scholz die Cum-Ex-Affäre überleben wird

Wenn die Dinge so kompliziert sind, muss man sie manchmal auf die eigene Lebensrealität herunterbrechen, um sie zu verstehen. Im Fall Scholz/Cum-Ex geht das so:

Stellen Sie sich vor: Nach dem Shoppen im Grenzstädtchen Konstanz (oder Como oder Saint-Louis) legen Sie die Einkaufsquittungen am Zoll vor und fordern die Mehrwertsteuer zurück. Das machen Sie mit derselben Quittung mehrmals, so lange, bis ein sehr grosser Betrag auf ihrem Konto liegt. Geschädigter ist der Staat. Der kommt Ihnen irgendwann auf die Schliche – und fordert das Geld zurück. Jetzt wenden Sie sich an einen Ihnen bekannten Politiker, jammern ein bisschen – und plötzlich ist die Forderung verjährt. Hat der Politiker da nachgeholfen?

Keine eindeutigen Beweise gegen Scholz

So geht Cum-Ex für Normalbürger. Im Fall Hamburg in den Hauptrollen: Die Bank Warburg, welche mit Obligationsgeschäften den Staat mutmasslich um 47 Millionen Euro Steuern erleichtert hat – und der Politiker und damalige Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz.

An die Momente, als der Warburg-Chef bei ihm jammerte, kann er sich nicht mehr erinnern. Eindeutige Beweise, dass Scholz in dieser Sache tätig wurde, gibt es auch nicht. Entschieden hat die Steuerbehörde, nicht die Politik.

Nun steht Scholz heute vor einem Parlaments-Ausschuss – und die Erinnerungslücken sind immer noch da. Scholz kann sich zwar an ein Treffen mit dem Bank-Chef erinnern – an den Gesprächsinhalt aber nicht. Die Hamburger CDU fordert schon Scholz’ Rücktritt.

Ermittlungen laufen schon seit Jahren

So weit wird es nicht kommen. Natürlich ist es in einem funktionierenden Rechtssystem so, dass dem Angeschuldigten die Schuld bewiesen werden muss. Das wird im Fall Scholz schwierig. Weil eben: Der Kanzler erinnert sich nicht. Das kann man ihm nicht vorwerfen.

Und bislang gibt es auch keine Mails oder andere Aufzeichnungen, die etwas anderes klar und gerichtsfest beweisen würden. Dass jetzt noch etwas Substanzielles kommt, ist unwahrscheinlich – immerhin dauern die Ermittlungen schon seit Jahren. E-Mail-Konten wurden durchforstet, Kalendereinträge, Nachrichten auf Mobiltelefonen.

Und das hilft Scholz: Die Sache ist sehr kompliziert. Die wenigsten begreifen, worum es geht, nur schon den Namen der Affäre, Cum-Ex, versteht kein Mensch. Rotlichtverstösse oder Ladendiebstähle können sehr viel gefährlicher sein.

So wird Olaf Scholz die Cum-Ex-Affäre durchstehen, vielleicht muss er zuvor nochmal antraben. Aber irgendwann ist es vorbei. Bald wird Gras darüber wachsen – und die Erinnerungslücken auch im öffentlichen Gedächtnis grösser werden.

Stefan Reinhart

Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

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Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

Hier finden Sie weitere Artikel von Stefan Reinhart und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit, 18.08.2022, 18:00 Uhr ; 

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