Cum-Ex-Steuerskandal - Schweiz als Zufluchtsort gesuchter Steuertrickser
In Deutschland haben illegale Cum-Ex-Geschäfte eine Klagewelle ausgelöst, die jetzt auch die Schweiz erfasst. Viele der Täter haben sich in die Schweiz abgesetzt.
«Paul Müller (Name der Redaktion bekannt) möchte nach all den turbulenten Jahren endlich wieder etwas Ruhe in seinem Leben haben», lässt sein Anwalt ausrichten. Auskunft geben mag er nicht.
Müller, ein Schweizer Staatsbürger, war Mitte der Nullerjahre Vorstand bei der Sarasin-Niederlassung in Frankfurt. Und er war laut Ermittlungsakten treibende Kraft innerhalb der Zürcher Privatbank Sarasin bei der Umsetzung der Cum-Ex-Steuerdeals in Deutschland. Die Bank Sarasin hatte in den Nullerjahren Cum-Ex-Fonds superreichen Privatpersonen in Deutschland verkauft. In den Prospekten, die SRF News vorliegen, wurde ihnen eine Rendite von bis zu 20 Prozent versprochen. Müller war für die Kundenakquise in Deutschland verantwortlich. Vergangenen Monat ist gegen ihn ein Haftbefehl erlassen worden. Die Privatbank äussert sich nicht zum Thema.
100 Ermittlungsverfahren mit über 1000 Beschuldigten
Cum-Ex-Geschäfte sind eines der dunkelsten Kapitel in der Finanzindustrie. Europaweit sollen durch Tricks der Banken bei der Rückforderung der Verrechnungssteuer Schäden in der Höhe von schätzungsweise 55 Milliarden Euro entstanden sein. In Deutschland laufen diesbezüglich über 100 Ermittlungsverfahren mit über 1000 Beschuldigten.
Vergangenen Monat hat der Bundesgerichtshof in Deutschland – das oberste Gericht für Zivil- und Strafsachen – Cum Ex für kriminell und illegal erklärt. Das betrifft auch Fälle, die Jahre zurückliegen. Aufgrund dieses Verdikts aus Karlsruhe muss eine erste Bank nun die Millionen, die sie an Cum Ex verdient hatte, zurückzahlen. Zahlreichen Beteiligten droht eine Freiheitsstrafe – auch solchen in der Schweiz.
Ist die Schweiz auch geschädigt worden?
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Die eidgenössische Steuerverwaltung ESTV kann nicht ausschliessen, dass es in der Schweiz zu Cum-Ex-Schäden gekommen ist. Sie geht aber davon aus, dass die meisten Angriffe entdeckt worden sind. Seit 2008 sind solche Tricks – die unter dem Begriff Dividendenstripping zusammengefasst werden – in der Schweiz nicht mehr möglich. Derzeit hält die ESTV möglicherweise illegale Verrechnungssteuerforderungen der Banken in der Höhe von rund 900 Millionen Franken zurück und überprüft diese auf ihre Rechtmässigkeit.
Wie funktionieren diese Tricks?
Die Tricks werden unter dem Begriff Dividendenstripping zusammengefasst. Es gibt sehr viele davon. Die wichtigsten heissen Cum Ex und Cum Cum. Stark vereinfacht funktionieren sie etwa so. Cum Ex:
Bei Cum-Ex-Geschäften werden Aktien gezielt rund um den Dividendenauszahlungstermin herum mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch mehrfach gehandelt. Der Steuerverwaltung wird nicht klar, wer denn nun die Verrechnungssteuer rechtmässig zurückerhält und zahlt sie mehreren Beteiligten aus. Cum Cum:
Auch bei diesem Trick werden unrechtmässig Verrechnungssteuern erstattet. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ein fiktives Beispiel: Ein ausländischer, beispielsweise in Dubai wohnhafter, Aktionär einer börsenkotierten schweizerischen Gesellschaft – etwa der UBS – gründet für kurze Zeit eine Tochtergesellschaft in der Schweiz und schiebt ihr die UBS-Aktien zu. Nach Auszahlung der Schweizer Verrechnungssteuer von 35 Prozent, schiebt die extra für diesen Zweck gegründete Tochtergesellschaft die Papiere wieder nach Dubai zurück. So hat der Aktionär aus Dubai Verrechnungssteuern erhalten, die ihm als nicht in der Schweiz Steuerpflichtiger gar nicht zustehen.
Cum-Ex-Täter haben sich in die Schweiz abgesetzt
Einer der Wahlschweizer: Hanno Berger – ehemals Chef der Steuerfahndung Frankfurt. Er wechselte in den Neunzigerjahren gewissermassen die Seiten und wurde zum hochbezahlten Steuerberater von Banken. Als der Cum-Ex-Skandal aufflog, hat sich Hanno Berger in die Schweiz abgesetzt und liess sich am oberen Dorfrand von Zuoz (GR) ein Chalet bauen, welches im gleichen Jahr fertiggestellt wurde wie das neue Gefängnis Cazis Tignez im Bündnerland.
Cum-Ex-Täter in der Schweiz
In diesem wartet Berger zurzeit auf seine Auslieferung nach Deutschland. Er ist gemäss der Staatsanwaltschaft in Köln einer der Haupttäter in Deutschland und muss mit einer hohen Freiheitsstrafe rechnen.
Haupttäter wird zum Kronzeugen
Berger war externer Berater der Bank Sarasin. Das wird auch aus Protokollen der Kantonspolizei Zürich aus Zeugeneinvernahmen ersichtlich – mit ehemaligen Sarasin-Kadermitarbeitern - Berger hatte einen Partner mit Übernamen «Spaceman» (Richtiger Name ist SRF News bekannt). Berger und «Spaceman» gingen bei Sarasin ein und aus, heisst es da, und pflegten besten Kontakt zur Geschäftsleitung.
«Spaceman» ist der erste, der gegenüber der Staatsanwaltschaft ein umfassendes Geständnis ablegte. Er ist heute Kronzeuge der Anklage im Cum-Ex-Skandal. Angeklagt wird er dennoch, wird aber mit einer Bewährungsstrafe rechnen dürfen. «Spaceman» hat sich von Finanzgeschäften losgesagt und führt heute ein beschauliches und spirituelles Leben an einem Schweizer See.
Sarasin-Steuertrickser heute in Kaderposition bei anderer Bank
Die direkte Verbindung von Berger und «Spaceman» innerhalb der Bank Sarasin war neben Paul Müller, Christoph Widmer (Name geändert). Widmer überwachte den Vertrieb der Cum-Ex-Produkte und galt gemäss Quellen, die SRF News vorliegen, als extrem «bullish». Er forderte, dass «Bremsklötze» – Cum-Ex-Kritiker innerhalb der Bank – zu entlassen seien.
Widmer kooperierte früh mit den deutschen Ermittlern und lieferte entscheidende Hinweise für die Anklage von Hanno Berger. Das Verfahren gegen Widmer wurde deshalb fallen gelassen. Widmer hat heute eine Kaderposition bei einer anderen Zürcher Privatbank inne – nur wenige hundert Meter von seinem ehemaligen Arbeitgeber entfernt. Für alle Personen gilt die Unschuldsvermutung.
Möglicherweise auch Schweizer Grossbanken in Cum-Ex-Deals involviert
In den Quellen, die SRF News vorliegen, wird namentlich die UBS erwähnt, die möglicherweise bei Cum-Ex-Deals mitwirkte. Im deutschen Rechtshilfegesuch beispielsweise wurde um die «Durchsuchung der Gesellschaft UBS AG gebeten, da diese Gesellschaft als Broker (in Cum-Ex-Geschäften, Anmerkung der Redaktion) beteiligt gewesen war». UBS nimmt dazu keine Stellung.
Wie gehen Banken bei Cum-Ex-Geschäften vor?
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Die Geschäfte laufen hoch industrialisiert und koordiniert ab. Jeweils ab November werden die Tricks geplant. Banken kaufen ab dann in kleineren Tranchen Millionen von Aktien - beispielsweise von grossen Dax-Konzernen. Dabei bleiben sie jeweils knapp unter der Schwelle von drei Prozent, damit die Anteile nicht gemeldet werden müssen. «Das sind Milliardeninvestitionen, die dann ein paar 100 Millionen Gewinne abwerfen – bezahlt durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler», sagt Christoph Spengel, Professor für Steuerlehre an der Universität Mannheim. Spengel gilt weltweit als der Experte, der das internationale System des komplexen Steuerbetrugs mit Aktientransaktionen mit seinen Akteuren entschlüsselt hat. Hanno Berger, der derzeit wegen schwerem Steuerbetrug angeklagt ist, erklärte 2019 SRFnews in seinem letzten öffentlichen Interview: Mit der Cum-Ex-Methode habe man in gewissen Fällen das Aktienvolumen eines Unternehmens kurzfristig virtuell bis zu acht Mal aufblasen können. Das heisst: der Fiskus zahlte sieben Mal mehr Verrechnungssteuern zurück, als er hätte zahlen müssen. Berger sagt, man habe eine Gesetzeslücke genutzt: «Erlaubt ist, was nicht verboten ist.»
Wenden Banken auch heute noch solche Tricks an?
Die ESTV sagt, dass es immer wieder neue Tricks der Banken gibt, die auf unrechtmässige Verrechnungssteuergewinne abzielen: «Die Banken sind sehr kreativ», sagt Patrick Teuscher, Kommunikationschef der ESTV. Christoph Spengel, Professor für Steuerlehre an der Universität Mannheim, bestätigt dies: Das Hauptproblem seien die Rahmenbedingungen bei der Erstattung der Verrechnungssteuer, die dem Einfallsreichtum der Investmentbanken hinterherhinken, sagt er: «Banken sind dem Gesetzgeber immer einen Schritt voraus.»
Die Credit Suisse war Medien zufolge offenbar unter anderem in die Cum-Ex-Geschäfte des Berliner Immobilientycoons Rafael Roth verwickelt, einem der ersten Cum-Ex-Kunden der Bank Sarasin. Credit Suisse nimmt keine Stellung.
Urteil des Bundesgerichtshofs mit Signalwirkung für die Schweiz
Es gilt als erwiesen, dass Schweizer Banken eine aktive Rolle in verschiedenen internationalen Cum-Ex-Deals gespielt haben. Doch ihre Rolle ist in der Schweiz noch nicht aufgearbeitet worden. «Das neuste Urteil des Bundesgerichtshofs in Deutschland könnte eine Signalwirkung für den Schweizer Bankenplatz haben», ist Alex Geissbühler überzeugt.
Cum-Ex und die Banken
Geissbühler ist Dozent für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Luzern und profunder Kenner des internationalen Aufsichtsrechts. Er kann sich zwar nicht vorstellen, dass nun eine grosse Klagewelle auf die Schweiz zukommt, sagt aber, es bestehe das Risiko, dass verantwortliche Mitarbeiter von allfällig involvierten Schweizer Banken nun noch gezielter ins Visier der ausländischen Steuerfahnder geraten würden.
«Den Banken selber droht vor allem eine Rückerstattung von allfälligen Taterträgen; dies, wenn die Banken auf eigene Rechnung direkt von deliktischen Konstrukten profitiert haben – beispielsweise im Investmentbanking», erklärt Geissbühler.
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