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Schweizer Hilfe in der Ukraine «Zwei Jahre haben wir auf diesen Austausch hingearbeitet»

Die ukrainische Regierung und die prorussischen Separatisten haben 220 Gefangene ausgetauscht oder freigelassen. Toni Frisch ist Sonderbeauftragter der OSZE für die Krise in der Ukraine. Er war in Majorsk an der Kontaktlinie, wo der Austausch stattfand. Ein solcher sei kein leichtes Unterfangen, erklärt er. Aber ein positives Zeichen für die Konfliktparteien.

Toni Frisch

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Toni Frisch, ehemaliger Chef der Humanitären Hilfe des Bundes (Deza), war von 2015 bis 2021 als Sonderbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für die Ukraine im Einsatz.

SRF News: Wie ist der Gefangenenaustausch in der Ukraine abgelaufen?

Toni Frisch: Es war eine eindrückliche Demonstration aller Parteien, jetzt vor Ende Jahr doch noch endlich diesen Schritt zu machen mit diesem angekündigten und seit langem erhofften Gefangenenaustausch. Gleichzeitig war es auch eine Freilassung von Gefangenen. Denn nicht alle, die die Kontaktlinie überschritten, sind ausgetauscht worden. Einige kamen frei.

Wie muss man sich das vorstellen?

Voraus ging – und das ist in der Öffentlichkeit vielleicht weniger bekannt – eine ganz mühsame, zähflüssige Verhandlungszeit. Zwei Jahre haben wir auf diesen Austausch hingearbeitet. Es gab Hunderte von Listen, die korrigiert und angepasst werden mussten. Alle zwei Wochen trafen wir uns in Minsk für diese Verhandlungen. Namen wurden geändert, einige wurden freigelassen, Neue wurden verhaftet. Das war jedes Mal ein ganz mühsames Seilziehen.

Es dauerte Stunden, bis alles abgewickelt war, bis die Namen der Leute kontrolliert waren und sie noch einmal befragt wurden, ob sie jetzt wirklich zurück in die Ukraine wollen.

Gestern nun hatten wir endlich die Liste mehr oder weniger definitiv zusammengestellt. Dann kamen sie in Bussen angefahren; aus Donezk und Lugansk, den sogenannten separatistischen Teilrepubliken. Auch von ukrainischer Seite wurden die Gefangenen an die Kontaktlinie geführt; insgesamt 220 Personen. Es war eine organisatorische Leistung. Es dauerte Stunden, bis alles abgewickelt war, bis die Namen der Leute kontrolliert waren und sie noch einmal befragt wurden, ob sie jetzt wirklich zurück in die Ukraine wollen. Das war bis ganz zum Schluss ein zähflüssiges Hin und Her.

Was sind die heiklen Momente bei so einem Gefangenenaustausch?

Es besteht natürlich immer die Hoffnung, dass es gut läuft, und dass die Listen komplett sind und stimmen, und plötzlich kommen Namen zum Vorschein, die verwechselt worden sind, und gleichzeitig besteht ein grosses Misstrauen, dass diese Leute doch nicht freigestellt werden und doch nicht an die Kontaktlinie geführt werden. Dass sie ihren freien Willen doch nicht geäussert haben, obschon man sie mehrmals gefragt hat. Auch gestern kam es vor, am Morgen sagte mir noch einer, er wolle nicht ausgetauscht werden, und am Nachmittag sagte er, er wolle jetzt doch ausgetauscht werden.

Welches Klima herrschte dabei zwischen den beiden Konfliktparteien?

Es gab direkten Kontakt. Das war auch nötig. Es ist etwas Positives, dass diese bilateralen Verhandlungen stattgefunden haben. Denn meine Aufgabe ist es auch, nicht nur Moderator, sondern auch Mediator und Organisator zu sein, um diese Leute zusammenzubringen, damit sie konstruktive Diskussionen führen und sich nicht nur Gehässigkeiten an den Kopf werfen.

Wir hoffen, dass die Stimmung anhält und sie dazu beiträgt, andere Probleme zu lösen.

Gestern war die Stimmung eigentlich eine ziemlich aufgeräumte, fast ein bisschen vorweihnachtlich, und alle waren sichtlich froh, dass dieser Austausch endlich stattgefunden hat. Es war zweifellos ein wichtiges politisches Ereignis. Das zeigte sich auch, als wir am Abend nach Kiew flogen. Präsident Wolodimir Selenski stand auf dem Flughafen, begrüsste alle Gefangenen. Er hat sich bei mir bedankt und gratuliert. Wir hoffen, dass diese Stimmung anhält und sie dazu beiträgt, andere Probleme zu lösen.

Das Gespräch führte Noëmi Ackermann.

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