Wo Fussball gespielt wird, wird nicht gekämpft. Wenn also alle Menschen Fussball spielen würden, gäbe es keine Kriege – aber es spielt nicht jeder Fussball.
Der langjährige Fifa-Präsident Sepp Blatter prägte so manches Bonmot. In Nordirland – dem heutigen Gegner der Schweiz in der WM-Qualifikation – dürften seine Worte wenig Widerhall finden.
Denn Nordirland ist ein zutiefst gespaltenes Land. Seit dem Brexit sind die Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken erneut aufgebrochen. Und der Fussball ist nicht dazu angetan, die Gräben zuzuschütten: Er teilt das Land mehr, als dass er es eint. Und das schon vor dem Anpfiff: Als Nationalhymne erklingt die Hymne des Vereinigten Königreichs.
Dazu kommt: Das Nationalstadion liegt in einem Viertel, in dem überwiegend Protestanten leben. «Der Fussball gilt in Nordirland als Institution der Protestanten», sagt denn auch der Journalist Ronny Blaschke, der sich mit Sport und Politik beschäftigt.
Kein Wunder, fremdeln katholische Nordiren mit «ihrer» Nationalmannschaft. Sie fiebern mit der Mannschaft im Süden mit, dem Nationalteam der Republik Irland.
In den 70er-Jahren vermied das nordirische Nationalteam zeitweilig sogar Heimspiele in Belfast, weil die Sorge vor Anschlägen zu gross war.
Für Blaschke ist der Fussball «ein Brennglas, weil er bestimmte Entwicklungen noch deutlicher zum Ausdruck bringt.» In Nordirland waren es traditionell die gesellschaftlichen Spannungen, die sich auf den Rängen und auf dem Spielfeld fortsetzten. Und allzu oft erst dort eskalierten. Auch im Klubfussball in der nationalen Meisterschaft.
«Gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen in den Stadien und drum herum», führt Blaschke aus. Denn auch die populären Vereine in Nordirland lassen sich meist konfessionellen Lagern zuordnen.
Teambusse gegnerischer Teams wurden mit Steinen beworfen. Auf den Tribünen wurde Gewalt und sogar Terror verherrlicht. Paramilitärische Gruppen rekrutierten unter hartgesottenen Fussballfans Kämpfer. «In den 70er-Jahren vermied das nordirische Nationalteam zeitweilig sogar Heimspiele in Belfast, weil die Sorge vor Anschlägen zu gross war.»
«Das Nationalteam Nordirlands gilt als Symbol für die Selbstbehauptung der Protestanten», sagt Blaschke. Doch immer wieder spielten auch Katholiken im Nationalteam. «Sie mussten aber herausragende Leistungen bringen, um breit akzeptiert zu werden.»
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Bild 1 von 4. Die Torwartikone Pat Jennings war einer der wenigen Katholiken, die in der nordirischen Nationalmannschaft breite Unterstützung fanden. Bildquelle: Getty Images.
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Bild 2 von 4. Ein weiteres Beispiel ist Martin O’Neill, der erste katholische Kapitän Nordirlands anfangs der 80er-Jahre. «O'Neill und Jennings wurden von Katholiken aber als Verräter bezeichnet», sagt Journalist Blaschke. Von 2013 bis 2018 war O'Neill Trainer der irischen Nationalmannschaft. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 4. Der Konflikt geht auch über Nordirland hinaus. 2000 wechselte der nordirische Katholik Neil Lennon zu Celtic Glasgow, dem schottischen Klub, der von katholischen Iren gegründet wurde. Bildquelle: Getty Images.
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Bild 4 von 4. «Lennon wurde massiv von Protestanten angefeindet», sagt Blaschke. Einige schickten ihm Patronenhülsen nach Hause. «Er ist dann unter Tränen aus dem nordirischen Nationalteam zurückgetreten.». Bildquelle: Getty Images.
Das Karfreitagsabkommen von 1998 befriedete den Nordirland-Konflikt, aber immer wieder treten Spannungen an die Oberfläche. Der nordirische Fussballverband habe in den vergangenen Jahren härter durchgegriffen, auch auf Druck von Sponsoren, erklärt Blaschke. «Der Verband ahndet feindselige Gesänge mit Stadionverboten, er sensibilisiert seine Ordner und er bringt Versöhnungsprojekte auf den Weg.» Doch noch immer schwelt der Hass.
Brexit schürt Spannungen
In anderen Sportarten ist man weiter. Im Rugby oder Cricket existieren gesamtirische Ligen und Nationalteams. Für die gesamtirische Rugby-Auswahl wurde 1995 sogar eine neutrale Hymne komponiert, mit der sich Protestanten und Katholiken gleichermassen identifizieren können. «Im Fussball kommt die Annäherung aber nicht über eine bestimmte Schwelle hinweg», so Blaschke.
Während an der EM 2016 in Frankreich, für die sich Irland und Nordirland qualifizierten, durchaus noch gegenseitiger Respekt spürbar gewesen sei, habe sich das Bild nun wieder eingetrübt. «Durch den Brexit ist neues Konfliktpotenzial entstanden, das haben die Ausschreitungen in Belfast im vergangenen Frühling gezeigt.»
Es sei wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich die Spannungen auch wieder im Fussball entladen würden, schliesst der Journalist.