Vor laufenden Kameras zählen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten unflätige Wörter auf – für «Penis», «Vagina» und «Sex». Das lässt sich TV-N nicht entgehen. Die Schüler zur Schlüpfrigkeit aufgefordert hat die Soziologin Aleksandra Dulas. In Polen, sagt sie, rede man eigentlich nicht über Sex. Deshalb hat sie «Spunk» gegründet. Die Mission der Organisation: Aufklärung.
«Redet mit Kindern nicht über Sex, sonst fangen die sofort damit an.» So dächten viele Eltern, Lehrerinnen, Politiker. Und: Spreche man mit jungen Leuten über Homosexualität, wollten diese auch das gleich ausprobieren.
In Wirklichkeit laufe es dann halt so: Mit acht Jahren feierten die Kinder Erstkommunion, die Eltern schenkten ihnen ein Handy. Dann sähen die Kinder Pornos – ohne etwas über Sex zu wissen. Das sei der Moment: Schulen riefen Spunk zum ersten Mal zu Hilfe.
Dulas und ihre Kollegen holen sich die Erlaubnis der Eltern. Stimmen diese zu, reden sie im Klassenzimmer übers Heranwachsen, über Verhütung, Beziehungen, sexuelle Orientierung. Über Dinge, die in vielen Ländern im Lehrplan stehen. In Polen aber nicht.
Mir stehen die Haare zu Berge, Aufklärung an Schulen ist doch nicht das wichtigste Thema im Leben.
Hier gibt es nur das freiwillige Schulfach «Vorbereitung auf das Leben in der Familie». «Wenn es dort einmal um Verhütung geht, heisst es oft: Verhütung ist schlecht, eine gute polnische Familie benutzt das nicht.» Abtreibung ist in Polen sowieso praktisch verboten.
Eine konservative Gesellschaft – das passt der Regierung. Jaroslaw Kaczynski ist Chef der konservativen Partei, die Polen regiert. In einer Rede vor Anhängern wettert er über Aufklärung an Schulen: «Mir stehen die Haare zu Berge, das ist doch nicht das wichtigste Thema im Leben.» Und es verwirre Mädchen und Buben nur, bringe sie auf komische Ideen.
Gerade hat seine Partei Ja gesagt zu einem Gesetz, das Sexualkunde de facto mit drei Jahren Haft bestrafen würde – für Spunk wäre das das Ende. In vielen Städten haben Menschen gegen das Gesetz demonstriert, auch in Krakau: Dort hat ein katholischer Priester die Demonstration gestört, betend, mit einem Rosenkranz. Er wolle doch nur Kinder beschützen – sie auch, schreit eine Demonstrantin zurück, und zwar vor pädophilen Priestern.
Das Oberste polnische Gericht hat das Gesetz inzwischen für unzulässig erklärt – wahrscheinlich tritt es nie in Kraft. Soziologin Dulas findet die Lage auch ohne ein neues Gesetz schwierig: «Jugendliche mit Depressionen, die sich umbringen – das gibt es in Polen besonders oft, gerade unter Homosexuellen.»
Die Statistik sagt auch: In Polen findet das erste Mal relativ spät statt. Dulas glaubt, Sex sei für viele junge Leute etwas Schmutziges, sie blieben allein mit ihren Begierden, könnten mit niemandem reden, würden deshalb oft unglücklich. Es gibt nur wenige Aufklärer wie Spunk – Private, die höchstens von Gemeinden oder Schulen etwas Geld bekommen, die Freiwillige in den Unterricht schicken.
Jugendliche mit Depressionen, die sich umbringen – das gibt es in Polen besonders oft, gerade unter Homosexuellen.
Aber auch diesen wenigen mache es der Staat schwer: «Eltern und Lehrer haben Angst vor dem Staat. Schulinspektoren rufen Eltern an, sogar jene, die Ja gesagt haben zur Sexualkunde. Und fragen: ‹Wissen Sie eigentlich, was ihr Kind da lernt?› Manche Schulen laden uns dann nicht mehr ein.»
Dulas sagt aber auch, viele junge Eltern, vor allem in den Städten, seien heute weniger verkrampft, lustvoller – und gäben das ihren Kindern weiter. Für immer mehr junge Familien gehöre Sexualkunde zu einer guten Schule. Sie hofft, dass sich diese Haltung bald im ganzen Land durchsetzt.