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Sexuelle Ausbeutung in den USA «Jedes sechste vermisste Kind ist wohl Opfer von Kinderhandel»

Der Fall Epstein hat das Bewusstsein der sexuellen Ausbeutung in der Gesellschaft erhöht. Trotzdem wird unter den jährlich vermissten Kindern in den USA vermutet, dass jedes sechste wahrscheinlich Opfer von sexuellem Kinderhandel ist. Zuhälter rekrutieren ihre Opfer oftmals über soziale Medien, erklärt Melissa Snow, Verantwortliche einer NGO für sexuell ausgebeutete Kinder im National Center for Missing and Exploited Children.

Melissa Snow

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Melissa Snow ist verantwortlich für das Programm für sexuell ausgebeutete Kinder im National Center for Missing and Exploited Children. Eine NGO, die vom US-Kongress beauftragt ist, vermisste Kinder zu finden und die Ausbeutung und den Missbrauch von Kindern zu verhindern.

SRF: Wie viele Kinder werden sexuell ausgebeutet in den USA?

Melissa Snow: Das ist schwierig zu bestimmen. Was wir sagen können: Von den 27'000 Kindern, die uns jährlich als vermisst gemeldet wurden, ist wahrscheinlich jedes sechste Opfer von sexuellem Kinderhandel.

Wie gehen die Zuhälter typischerweise vor, um ihre Opfer zu rekrutieren?

Wir nennen die Zuhälter Meister der Manipulation. Teenager suchen Verbundenheit, Liebe, Dazugehörigkeit. Wenn sie das zu Hause nicht bekommen oder in der Schule, ergibt das eine ganz normale Verletzlichkeit. Und Zuhälter sind Meister darin, verletzliche Seiten in Jugendlichen zu erkennen. Vor allem online.

Von den 27'000 Kindern, die uns jährlich als vermisst gemeldet wurden, ist wahrscheinlich jedes sechste Opfer von sexuellem Kinderhandel.

Junge Menschen erzählen oft zu viel über sich online, was in ihrem Leben geschieht. Und die Zuhälter sitzen bequem zu Hause und scrollen durch die sozialen Medien. Wer spricht über einen schlechten Tag, wer hatte Streit mit den Eltern, wer ist traurig? Zuhälter suchen gezielt danach. Sie versuchen, mit den jungen Menschen eine Verbindung aufzubauen und spinnen ein ausgeklügeltes Netz aus Manipulation und Lügen, um sie an sich zu binden. Teenager, die von zu Hause weglaufen, sind am meisten gefährdet.

Bei Epstein haben manche Mädchen andere rekrutiert. Können Sie das erklären?

Absolut. Jedes Opfer, das bereits unter der Kontrolle eines Zuhälters ist, muss neue rekrutieren. Wer diesen Befehl missachtet, kann Opfer von schwerer Gewalt oder sogar Tötung werden. Wir sagen Mitarbeitenden der Polizei in Ausbildungen, dass sie immer erwarten müssen, dass Opfer selber in die Struktur der Neurekrutierungen eingebunden sind.

Opfer sind häufig selbst in die Struktur der Neurekrutierungen eingebunden.
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Es ist eine typische Strategie des Zuhälters, um sich selbst von der Rekrutierung zu distanzieren und die Schuld jemand anderem zuzuschieben. Es ist darum wichtig, dass die Polizei dies weiss. Sonst kann es sein, dass sie sich auf ein Mädchen fokussieren als Täterin statt auf den Zuhälter, der eigentlich verantwortlich ist.

Ist das auch ein Grund, dass die Mädchen manchmal nicht ernst genommen werden?

Überlebende von sexuellem Kinderhandel haben mehrere sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen pro Tag, über Wochen, Monate und Jahre erlebt. Sie sind massiv traumatisiert. Als Folge können die Verhaltensweise von Überlebenden und ihre Reaktionen sehr seltsam wirken auf aussenstehende Leute, die nicht korrekt ausgebildet wurden.

Das Opfer lernt, ihrem Ausbeuter zu gefallen, um die Überlebenschancen zu erhöhen.
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Wir sehen zum Beispiel «Trauma-Bomben», wie wir es nennen. Es ist eine Überlebensstrategie. Ähnlich wie das Stockholm-Syndrom bei Entführten. Das Opfer lernt, ihrem Ausbeuter zu gefallen, um die Überlebenschancen zu erhöhen. Opfer übernehmen dann oft die Verantwortung, sagen, es war ihr Entscheid.

Hat der Fall Epstein das Bewusstsein bei Strafverfolgungsbehörden und in der Gesellschaft erhöht?

Durch die Medienberichterstattung und die sehr sichtbaren Fehler im Justizverfahren wurde das Bewusstsein dafür geschärft. Auch wenn es kein alltäglicher Fall ist, erfahren die Menschen, dass es verschiedene Formen für Ausbeutung gibt. Wir sahen einen Durchbruch, er wurde zur Verantwortung gezogen. Wir müssen Überlebenden glauben, wenn sie über berühmte Leute sprechen, von denen wir es nicht erwarten. Und anerkennen, dass es jeder sein könnte.

Das Gespräch führte Viviane Manz.

Tagesschau, 27.11.2021, 19:30 Uhr ; 

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