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Sicherheitsrisiko Schweizer IS-Kämpfer stehen vor einem kurdischen Gericht

Syrische Kurden haben bekannt gegeben, IS-Verdächtige vor Gericht zu stellen. Darunter sind auch drei Schweizer.

Der Frust ist spürbar, als am Donnerstagabend der de-facto Aussenminister der kurdischen Selbstverwaltung, Badran Ciya Kurd, auf dem Bildschirm auftaucht und per Zoom internationalen Journalisten erklärt, man sehe sich gezwungen, selber zu handeln. Bald würden lokale Gerichtsprozesse starten. 

Eine zerknüllte IS-Flagge.
Legende: Eine zerknüllte IS-Flagge. AP Photo/Maya Alleruzzo

Wiederholt hatten die Kurden, die in Nord- und Ostsyrien eine Selbstverwaltung mit zivilen Strukturen aufgebaut haben und die Gefängnisse kontrollieren, die Herkunftsländer der IS-Gefangenen aufgerufen, ihre Landsleute zurückzuholen. Die meisten Staaten weigern sich – auch die Schweiz.

Die Schweizer IS-Gefangenen

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Sie wohnten in Lausanne, in einem Waadtländer Dorf und in einer Genfer Hochhaussiedlung: Drei Schweizer Männer befinden sich teils seit mehreren Jahren in kurdisch geführten Gefängnissen in Nordostsyrien. Insgesamt sind es gemäss Human Rights Watch rund 10'000 Männer, davon 8000 aus Syrien und Irak, 2000 aus Drittstaaten inklusive Europa.

Die Schweizer haben gegenüber der «Rundschau» Anfang Jahr Foltervorwürfe erhoben. Die kurdische Selbstverwaltung hat dies zurückgewiesen. Der Bundesrat hatte eine Rückführung von erwachsenen Dschihad-Reisenden 2019 abgelehnt. Dies gilt noch immer. Man bevorzuge eine Strafverfolgung im Tatortland.

Während Männer in Gefängnissen inhaftiert sind, befinden sich Frauen und Kinder aus dem ehemaligen Gebiet des IS in bewachten Camps. Über 55'000 sind es gemäss Human Rights Watch, fast zwei Drittel davon Minderjährige.

Nach Angaben des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) befinden sich drei Kinder mit mindestens einem Elternteil im Konfliktgebiet. Eine Frau aus Lausanne und ihre Tochter leben seit 2018 in einem der Camps. Der Bund prüft in Einzelfällen die Rückführung von Minderjährigen, ohne Eltern, 2021 hat das Aussendepartement zwei Mädchen aus Genf repatriiert.

Bestrebungen der Kurden, ein internationales Tribunal mit Unterstützung westlicher Staaten zu etablieren, haben zu keinen Ergebnissen geführt. Nun also lokale Gerichtsverfahren. Die rechtliche Basis bilde das Strafgesetzbuch der Selbstverwaltung, hiess es bei der Präsentation. Eine Todesstrafe ist nicht vorgesehen. Es könnten sowohl Männer als auch Frauen vor Gericht gestellt werden, wenn genügend Beweise vorliegen, so Kurd.

Bis zu lebenslanger Haft

Gemäss einer Übersetzung des Rojava Information Center reicht die Spanne möglicher Freiheitsstrafen von einem Jahr für Leute, die zu untergeordneten Tätigkeiten gezwungen wurden, bis zu zwanzig Jahren für Frontkämpfer und Führungspersonen und lebenslang bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Kurd gab sich staatsmännisch: Die Selbstverwaltung sieht sich als demokratisch legitimierte Behörde, die sich ans Völkerrecht und an Rechtsstaatlichkeit halte. So sollen auch die IS-Prozesse gegen die Ausländer ablaufen. Internationale Beobachter, die Presse, auch Anwälte seien eingeladen, die Verhandlungen zu verfolgen – dies in einer politisch und militärisch äusserst heiklen Lage.

Kurdische Autonomie in einem Pulverfass

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Die Selbstverwaltung Nordostsyriens ist international nicht anerkannt. Das syrische Regime von Baschar al-Assad duldet die autonome Zone, kontrolliert aber etwa den Flughafen der Region. Im Norden sind die Türkei und verbündete Truppen einmarschiert, die Türkei hält die Kurdenverwaltung schlicht für einen Ableger der von ihr als Terrororganisation gesehenen PKK.

Die Lage noch komplexer macht die Präsenz russischer Truppen, die teils auf den Schnellstrassen patrouillieren oder dort gepanzerten Fahrzeugen der USA begegnen, die ebenfalls in der Region stationiert sind und den Kurden Rückendeckung leisten. Schliesslich ist auch der IS nicht ganz verschwunden, gewisse Gebiete gelten als Rückzugszonen, immer wieder verübt der IS Anschläge oder versucht, Kampfgenossen aus Gefängnissen zu befreien.

Viele Details der Prozesse, die bald starten sollen, scheinen aber noch offen, manche rechtliche Fragen kann die Selbstverwaltung nicht schlüssig beantworten. So scheint unklar, ob die Angeklagten von Amtes wegen eine Verteidigung erhalten. Der Aussenbeauftrage Kurd sagte lediglich, Anwälte aus den Herkunftsländern oder auch Behördenvertreterinnen seien willkommen. Schwammig blieb auch die Erklärung der Zusammensetzung und Struktur des Gerichts.

Ein Hilferuf aus Nordostsyrien

Es sei eine grosse Last, die man zu tragen habe, mit den Tausenden IS-Gefangenen. Auch die Prozesse würden die Selbstverwaltung vor riesige Herausforderungen stellen, räumte Kurd ein. Erneut rief er die internationale Gemeinschaft zu Unterstützung auf. Insofern ist die Ankündigung der Prozesse auch als Hilferuf aus Nordostsyrien zu lesen.

Die Selbstverwaltung bleibt bei ihrer Forderung, Herkunftsländer sollten ihre Landsleute zurückholen und in der Heimat der Strafverfolgung zuführen. Dies könne auch nach einer Verurteilung vor lokalen Gerichten erfolgen, also die Verbüssung einer Haftstrafe in der Heimat. Das wird zwischen europäischen Staaten teils praktiziert, setzt bilaterale Verträge voraus, und damit überhaupt ein anerkanntes Staatsorgan – was die Selbstverwaltung nicht ist.

Das ist die zweite, nicht nur unterschwellige Botschaft aus Nordostsyrien: mit dem Gebaren als Quasi-Staat, der Gerichtsprozesse abhält, versucht sich die Selbstverwaltung als autonomes Organ international zu etablieren. Die lokale Strafverfolgung von IS-Verdächtigen aus Europa wird damit unweigerlich zu einem diplomatischen Hochseilakt.

Tagesschau, 16.06.2023, 19:30 Uhr

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