Worum geht es? Äthiopien hat seinen Zugang zum Meer Ende der 1990er-Jahre im Grenzkrieg gegen Eritrea verloren. Bis dahin lief ein grosser Teil des äthiopischen Handels über den eritreischen Hafen Assab. Nun stellt Premierminister Abiy Ahmed offen in Aussicht, dass Äthiopien wieder Zugang zu diesem Hafen erhalten müsse – notfalls auch mit Gewalt.
Hat Äthiopien sonst keinen Zugang zu einem Meerhafen? Fast der gesamte äthiopische Aussenhandel läuft heute über den Hafen im Nachbarland Dschibuti. Diese Abhängigkeit ist teuer und macht Äthiopien verletzlich. Abiy Ahmed wollte deshalb für Äthiopien neue Zugänge zu Häfen erschliessen, in Kenia und in Somaliland, wie SRF-Afrikakorrespondentin Sarah Fluck sagt. Doch beide Projekte scheiterten und deshalb fokussiert er sich nun auf den Hafen in Eritrea.
Womit droht Abiy Ahmed? «Ahmed droht mittlerweile ganz offen damit, sich den Hafen notfalls mit Gewalt zu holen», sagt Fluck. Abiy Ahmed, mehrere Generäle und Minister haben in den letzten Wochen gesagt, dass der Meerzugang für sie existenziell sei und dass man ihn im Zweifel «zurückerobern» werde.
Wird Eritrea nachgeben? Das sei unwahrscheinlich, glaubt Sarah Fluck. «Für Eritrea ist Assab ein Teil der Identität als unabhängiger Staat.» Die Reaktionen aus Eritrea waren entsprechend heftig: Der eritreische Informationsminister sprach von einer «gefährlichen Agenda» und warnte vor schweren Konsequenzen. Auch das Militär zog eine klare rote Linie und erklärte, wer sie überschreite, stürze in ein «Desaster ohne Rückweg». Ein Nachgeben wäre für Eritrea also kaum politisch denkbar.
Welche Rolle spielt Abiy Ahmed in diesem Konflikt? Von der Rolle des einstigen Vermittlers, für die er 2019 den Friedensnobelpreis erhalten hat, sei längst nichts mehr übrig, so die Korrespondentin. «Bereits seit dem Tigray-Krieg gilt er nicht mehr als Friedensvermittler», so Fluck. Heute treibe er die Spannungen selbst voran. «Er will zeigen, dass Äthiopien stark und unabhängig ist.» Eines der Beispiele dafür sei der kürzlich eröffnete Nil-Staudamm.
Warum sorgt die Region Tigray für zusätzliche Spannungen? Tigray liegt ganz im Norden Äthiopiens, direkt an der Grenze zu Eritrea. Von dort gibt es immer wieder Berichte, dass eritreische Soldaten dort noch präsent sein könnten – bestätigen lässt sich das kaum. Sicher ist nur: In der Region sind noch viele bewaffnete Gruppen aktiv, und Äthiopien und Eritrea stehen jeweils auf unterschiedlichen Seiten. Das macht Tigray schnell zu einer Art Stellvertreterraum.
Kommt es wegen dem Hafen zu einem Krieg? Das sei im Moment noch unwahrscheinlich, so die Korrespondentin. Es gäbe keine grossen Truppenbewegungen an der Grenze, und militärisch wirkt die Lage noch verhältnismässig ruhig. Die grössere Gefahr liege in der Region Tigray, wo ein Stellvertreterkonflikt entstehen könne.