Das ist passiert: Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hat am Dienstag Timur Iwanow, einen von zwölf Vizeverteidigungsministern, festgenommen. Das Moskauer Bezirksgericht wirft ihm die Annahme von Bestechungsgeldern in besonders grossem Umfang vor. Details wurden keine genannt. Im grössten Korruptionsfall des Landes seit Kriegsbeginn wurde auch ein mit ihm befreundeter Unternehmer verhaftet. Iwanow, der vorerst bis zum 23. Juni in Untersuchungshaft bleibt, bestreitet die Vorwürfe. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Plausible Begründung: Die offiziell wegen Korruption begründete Festnahme sei «absolut plausibel», sagt ARD-Russland-Korrespondent Frank Aischmann. Schon die Antikorruptionsstiftung des in Haft verstorbenen Kremlkritikers Alexej Nawalny habe Korruptionsvorwürfe gegen Iwanow geäussert. Gemäss verschiedenen Medienberichten kann Iwanow mit einer hohen Geldstrafe oder mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden.
Gerücht 1: Erst der Anfang: Iwanows Inhaftierung löste Spekulationen über einen Machtkampf in der russischen Führung aus. Unter anderem wird gemutmasst, dass die Festnahme von Iwanow, einem engen Vertrauten von Verteidigungsminister Sergei Schoigu, erst der Anfang einer Rochade im Ministerium sein könnte. Denn in zwei Wochen, wenn Putin für eine weitere Amtszeit vereidigt wird, muss die Regierung zurücktreten und Putin die einzelnen Posten neu besetzen. Angesichts des aus russischer Sicht nicht erfolgreich verlaufenden Krieges in der Ukraine könne es sein, so Aischmann, «dass ein Signal an Schoigu gesendet wurde, nämlich: ‹Das war’s für dich›». Man könne das Argument aber auch umdrehen: Ein Stellvertreter Schoigus werde abgestraft, «um den eigenen Hinterhof als besenrein zu präsentieren», so Aischmann.
Gerücht 2: Timur Iwanow hat es übertrieben: Im Ukraine-Krieg wird gekämpft und gestorben, während Iwanow mit seiner Familie ein unbeschwertes Leben geniesst. «Vielleicht ist das ein Warnschuss an alle in ähnlichen Positionen», so Aischmann.
Gerücht 3: Hochverrat: Es wird auch gemunkelt, dass es sich bei den Korruptionsvorwürfen um Hochverrat handeln könnte. «Ein reines Gerücht», weiss der ARD-Korrespondent.
Gerücht 4: Zu gierig auf Prigoschins Erbe: Ausserhalb Russlands wird derzeit das Erbe des getöteten Chefs der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, verteilt, zum Beispiel Anteile an Minen und andere Besitztümer. «Vielleicht hat Iwanow die Hände zu fest ausgestreckt», sagt Aischmann.
Gerücht 5: Einem Machtkampf ausgeliefert: Es könne aber auch sein, dass der traditionell geführte Kampf zwischen dem FSB und dem Militär eskaliert sei, mutmasst Aischmann. Der Geheimdienst habe Schwierigkeiten zu argumentieren, warum er den Terroranschlag bei Moskau nicht habe verhindern können. «Vielleicht war das Verteidigungsministerium in der Balance zu sehr gestärkt», so Aischmann.