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Staatsverschuldung Tunesiens Der IWF fordert Wirtschaftsreformen in Tunesien

Die tunesische Regierung ist im Dilemma: Soll sie die Bedingungen für den neuen IWF-Kredit akzeptieren oder nicht?

Tunesien befindet sich in einer tiefen Schuldenkrise. Diese führe zu zwei Problemen, einem eher langfristigen und einem unmittelbaren, sagt Riccardo Fabiani von der NGO «International Crisis Group»: «Einerseits belasten die hohen Schulden den Staatshaushalt Tunesiens, weil das Land einen beträchtlichen Teil seines Budgets dafür aufwenden muss, Schuldzinsen zu zahlen.» Andererseits habe das Land ein unmittelbares Liquiditätsproblem, da es zu wenig Geld habe, um demnächst fällige Rückzahlungen von Schulden zu tätigen.

Vier bis fünf Milliarden Dollar oder Euro

Dazu kommt ein erschwerender Faktor, wie Manuel Oechslin, Professor für internationale Ökonomie an der Universität Luzern sagt: «Ein beträchtlicher Teil dieser Schulden müssen bei Fälligkeit in Devisen – in US-Dollar oder in Euro – beglichen werden.» Konkret muss Tunesien in diesem und im nächsten Jahr Schulden in der Höhe von vier bis fünf Milliarden in Dollar oder Euro zurückzahlen. Das entspricht rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes.

Die Weltmarktpreise, sowohl für die Energie als auch für die Nahrungsmittel, sind in jüngster Zeit stark angestiegen.
Autor: Manuel Oechslin Professor für internationale Ökonomie

Doch die dafür nötigen Devisen fehlen Tunesien. Die Fremdwährungsreserven der tunesischen Zentralbank befinden sich auf einem Tiefstand. Ein Grund dafür ist, dass das Land in den vergangenen Jahren viel mehr importiert hat als exportiert: «Die Weltmarktpreise, sowohl für die Energie als auch für die Nahrungsmittel, sind in jüngster Zeit stark angestiegen; Stichwort Krieg in der Ukraine. Das führt zu einem höheren Leistungsbilanzdefizit und das wiederum führt zu Druck auf die Devisenbestände», erklärt Oechslin. Dies, weil bei einem Importüberschuss mehr Devisen ins Ausland fliessen als umgekehrt.

Der einzige Weg, um Tunesien vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, sind weitere Kredite aus dem Ausland; neue Schulden also, um alte Schulden zu begleichen. Der tunesischen Regierung scheint das bewusst zu sein. Denn sie hat schon vergangenen Herbst mit dem Internationalen Währungsfonds einen Kredit von 1.9 Milliarden Dollar ausgehandelt.

IWF stellt Bedingungen

Das ist wichtig. Denn der Währungsfonds gilt als eine Art «Leithammel» unter den Kreditgebern: Gibt er grünes Licht für einen Kredit, folgen ihm meist Staaten und andere Organisationen. So rechnen Beobachter damit, dass zu den 1.9 Milliarden des IWF weitere 5 Milliarden von anderen Kreditgebern hinzukommen.

Die Forderungen des IWF

Box aufklappen Box zuklappen

Aus Sicht der tunesischen Regierung hat der Kredit einen Haken. Im Gegenzug für seine Kredite verlangt der IWF nämlich Reformen. So soll Tunesien, das seit Jahren mehr ausgibt als einnimmt, seine Staatsfinanzen wieder ins Lot bringen. Das heisst beispielsweise die Zahl der Staatsangestellten verringern, einige staatliche Firmen privatisieren oder Subventionen reduzieren.

«Tunesien hat ein sehr teures System von Subventionen. Es verbilligt künstlich Treibstoff und Nahrungsmittel», sagt Riccardo Fabiani von der NGO «International Crisis Group». Die Regierung bezahle die Differenz zwischen dem Weltmarktpreis und dem Verkaufspreis. Und dieses sowieso schon teure System ist mit den steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen auf dem Weltmarkt noch teurer geworden.

Dass das System angepasst werden müsse, sei klar, sagt Fabiani. Aber für die Regierung sei das äusserst schwierig: «Hunderttausende Tunesierinnen und Tunesier profitieren von den Subventionen und könnten günstiger Benzin tanken oder Brot kaufen.» Würden die Subventionen abgeschafft, drohten soziale Unruhen, gerade jetzt in einer Phase mit hoher Arbeitslosigkeit, Inflation und schwachem Wachstum.

Doch das Geld vom IWF gibt es nicht bedingungslos (siehe Box). Und es kommt hinzu, dass der zunehmend autoritär regierende Präsident im Moment sowieso sehr wenig Zustimmung in der Bevölkerung geniesst. Auch deshalb wehrt er sich gegen die Reformen, denen er ursprünglich zugestimmt hatte, und spricht von einem «Diktat des Westens».

Vertrackte Situation

Der IWF seinerseits besteht auf seinen Forderungen; aufgrund einer nüchternen Betrachtungsweise, sagt Manuel Oechslin: «Das Ziel der Reformauflagen ist, die Schuldentragfähigkeit Tunesiens wieder zu garantieren. Man will sicherstellen, dass Tunesien zu gegebener Zeit – nach 48 Monaten – diesen IWF-Kredit wieder zurückzahlen kann.»

Für die tunesische Regierung ist die Situation vertrackt: Stimmt sie den Reformen zu, kann sie ihre bald fälligen Auslandsschulden wohl bezahlen, riskiert aber politisch noch unpopulärer zu werden. Lehnt sie die Reformen ab und der IWF bleibt bei seinen Auflagen, droht eine Staatspleite – und das hätte verheerenden Folgen, wie Riccardo Fabiani sagt: «Kurz: Für die tunesische Wirtschaft wäre das eine Katastrophe.»

Echo der Zeit, 16.06.2023, 18:00 Uhr

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