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Statistik wird zum Politikum Zweifel an Chinas Corona-Zahlen

China meldet spektakuläre Erfolge im Kampf gegen das Virus. Kritiker sind skeptisch.

Eigentlich waren die Nachrichten der letzten Wochen aus China ermutigend: Die Neuansteckungen mit dem Coronavirus gingen stark zurück. Am 17. März vermeldeten die Behörden gar, es habe innerhalb des Landes keine einzige Neuansteckung gegeben.

Doch wo es Erfolgsmeldungen gibt, sind Zweifel nicht weit – auch innerhalb Chinas. Das Pekinger Nachrichtenportal «Caixin» äusserte umgehend Bedenken gegenüber den offiziellen Zahlen. In Wuhan gebe es sehr wohl täglich neue Corona-Fälle, schrieb Caixin, dabei handle es sich um asymptomatische Infektionen. Das sind mit dem Virus infizierte Personen, die sich gesund fühlen.

Diese asymptomatischen Fälle tauchten bislang in den öffentlichen Statistiken nicht auf. Bis sich die chinesischen Behörden zu einer Praxisänderung gezwungen sahen. Seit dieser Woche werden die asymptomatischen Virusträger ausgewiesen. Prompt ist die Zahl der Infektionen wieder gestiegen. Mit der neuerlich geänderten Zählweise wurde das Vertrauen in die chinesischen Statistiken jedoch kaum verbessert.

Statistiken sind auch Politik

Auch Kristin Shi-Kupfer vom «Mercator Institute for China Studies» in Berlin hat Vorbehalte gegenüber den Zahlen aus China. Im Gespräch mit SRF nennt sie zwei Gründe: Zum einen gebe es Probleme bei der medizinischen Erfassung der Fälle aufgrund fehlender Kapazitäten und mangelhafter Tests.

Der zweite Grund sei politisch: China hat laut Shi-Kupfer ein grosses Interesse daran, dass die Corona-Zahlen gegen null gehen, damit die Wirtschaft wieder produzieren und sich die Regierung als erfolgreiche Krisenbewältigerin präsentieren kann.

Dass die Corona-Statistik längst zum Politikum geworden ist, zeigt die heftige Kritik an China aus den USA. Die amerikanische Regierung hat Peking mehrfach vorgeworfen, Informationen zur Epidemie zurückzuhalten.

US-Geheimdienste: China beschönigt Zahlen

Gestern legten die US-Geheimdienste nach: Sie liessen im Nachrichtenportal «Bloomberg» Informationen durchsickern, wonach China das tatsächliche Ausmass der Coronaepidemie im Land verschweige. Sowohl die offizielle Zahl der Infizierten als auch jene der Toten sei zu tief. Es ist gar die Rede von gefälschten Statistiken.

Chinas Führung hat solche Anschuldigungen aus den USA mehrfach zurückgewiesen. Man habe stets offen und transparent über Corona informiert. Das Aussenministerium in Peking nannte die Vorwürfe «schamlos und moralisch verwerflich».

Mit den chinesischen Zahlen beschäftigt hat sich auch der Politologe Maximilian Mayer von der «University of Nottingham» im chinesischen Ningbo. Er glaube nicht, wie er gegenüber SRF sagt, dass China systematisch falsche Zahlen veröffentlicht.

Allerdings, räumt er ein, seien zu Beginn des Ausbruchs viele Fälle von Infizierten und Toten nicht erfasst worden, da das Gesundheitssystem noch nicht auf die Epidemie eingestellt gewesen sei.

Ausgestanden ist die Krise auch in China nicht

Mayer geht davon aus, dass die Corona-Fälle in China seit der zweiten Februarwoche korrekt ausgewiesen werden. Seither wird systematisch getestet. Mayer argumentiert, es liege nicht im Interesse der chinesischen Regierung die Zahlen zu fälschen. Zu gross sei das Risiko eines neuen, unkontrollierten Ausbruchs.

Ausgestanden ist die Corona-Krise für China so oder so nicht: Gestern wurden in der Provinz Henan für 600'000 Menschen neue Ausgangssperren verhängt.

Tagesschau, 02.04.2020, 18 Uhr

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