Es gibt zwei Wege, um mit dem Auto von Südengland nach Frankreich zu kommen: Man nimmt in Dover die Fähre. Oder man fährt bei Folkestone durch den Eurotunnel. Beide Wege waren von heftigen Staus betroffen. Von einem «Hotspot der Ferienhölle» sprach der britische Automobilverband AA am Wochenende angesichts der Verkehrslage.
Beim Eurotunnel hat sich die Lage laut Informationen auf der Website der Betreiberfirma inzwischen etwas beruhigt. Die Wartezeit betrage die üblichen rund ein- bis eineinhalb Stunden. In Dover, wo die Fähren Richtung Frankreich ablegen, betrage die Wartezeit vor der Grenzkontrolle gegenwärtig rund eine Stunde, twitterte P&O Ferries.
Ferienbeginn und Flughafenchaos
Dass es dort am Wochenende zu solch langen Staus kommen konnte, hänge mit verschiedenen Faktoren zusammen, erklärt SRF-Grossbritannien-Korrespondent Michael Gerber. «Der wichtigste ist sicherlich die rekordverdächtig hohe Zahl an Reisenden, bedingt durch den gleichzeitigen Ferienbeginn in England und Wales.»
Zudem wollten mehr Leute mit dem Auto verreisen, weil an den britischen Flughäfen seit Wochen grosses Chaos herrscht. «Kommt hinzu, dass es die ersten Sommerferien seit der Pandemie und dem Brexit sind, die die Britinnen und Briten im Ausland machen können.»
Nach dem 31. Januar 2020 konnten die Britinnen und Briten wegen der Corona-Beschränkungen eine Weile nicht reisen. Und für den Brexit, der am 31. Januar 2020 in Kraft trat, sei das jetzt «die erste Nagelprobe», wie der Korrespondent in London es nennt. «Da kam also vieles zusammen. Das haben die Leute jetzt zu spüren bekommen.»
Die konkreteste Auswirkung des Brexit ist wohl, dass die Personenkontrollen systematischer werden. «Es wird genauer kontrolliert, aufwändiger kontrolliert», so Gerber. «Wenn man eine fünfköpfige Familie in einem Auto kontrollieren muss und alle ihre Pässe mit dabei haben müssen, dauert das.»
Konsequentere Ausweiskontrollen
Schon vor dem Brexit gab es zwischen Grossbritannien und der EU eine Ausweispflicht, weil Grossbritannien dem Schengenraum nicht angehörte. «Doch da haben die französischen Behörden, die in Dover und Folkestone für die Kontrollen zuständig sind, oft ein Auge zugedrückt. Denn es gab die Abmachung, dass die Britinnen und Briten auch ein Recht haben, in die EU einzureisen.»
Man habe also nicht so systematisch kontrolliert, wie man es jetzt seit Brexit mehr und mehr mache. «Die Folgen sind längere Staus und Schwierigkeiten, wie wir sie jetzt gesehen haben.»
Thema politisch ausgeschlachtet
Die britische Aussenministerin Liz Truss nannte die Staus «inakzeptabel» und warf Frankreich vor, zu wenige Grenzbeamte aufgeboten zu haben. «Tatsächlich ist das französische Kontrollpersonal am Freitagmorgen um 8 Uhr nicht vollzählig zum Schichtbeginn erschienen», weiss Gerber. «Truss unterstellt Frankreich, das sei Absicht gewesen, um Grossbritannien spüren lassen, dass der Brexit Auswirkungen habe.»
Doch die französische Grenzpolizei hat sich auch dazu geäussert: Sie hat zugegeben, Schwierigkeiten gehabt zu haben, ihr Kontrollpersonal nach Dover und Folkestone zu bringen. Das sei aber bedingt gewesen durch einen Zwischenfall im Eurotunnel. Eine Stunde nach dem offiziellen Schichtbeginn seien sämtliche Kontrollposten in Dover besetzt gewesen.