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Syrien-Treffen in Ankara Erdogan auf verlorenem Posten

Das Gipfeltreffen soll Lösungen für Syrien bringen. Doch die Interessen Putins, Rohanis und Erdogans gehen weit auseinander.

Putin und Rohani bei Erdogan: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan empfängt in Ankara den russischen Staatschef Wladimir Putin und seinen iranischen Kollegen Hassan Rohani. Beim Syrien-Dreiergipfel geht es laut offiziellen Angaben um die Situation in der Rebellenhochburg Idlib, um die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien und um die mögliche Zukunft des Bürgerkriegslandes. Die Interessen gehen allerdings weit auseinander: Während Erdogan verschiedene syrische Rebellengruppen unterstützt und vor allem an einer Lösung des Flüchtlingsproblems interessiert ist, steht für Putin und Rohani ein Machterhalt von Syriens Diktator Baschar al-Assad im Zentrum.

Schwierige Situation in Idlib: In der letzten, von Rebellen gehaltenen Region im Norden Syriens leben rund drei Millionen Menschen. Seit Monaten führen syrische Truppen und deren Verbündete Angriffe auf Idlib aus. Die Region wird grossteils von der Dschihadistenmiliz Hajat Tahrir al-Scham – einem Bündnis verschiedener extremistisch-islamistischer Milizen – sowie anderen islamistischen Milizen kontrolliert. Im Kreuzfeuer sind dabei die in der Region Idlib lebenden Zivilisten, viele von ihnen sind aus anderen Regionen Syriens nach Idlib geflohen. «Viele leben unter freiem Himmel, die Nahrung wird knapp. Die Lage ist für viele Menschen verzweifelt», sagt der Journalist Thomas Seibert. Er lebt seit Jahren in Istanbul.

Rohani, Putin und Erdogan geben sich die Hände und lächeln in die Kamera.
Legende: Beim letzten Treffen im Februar 2019 in Sotschi zeigten die drei Einigkeit – obschon ihre Interessen weit auseinandergehen. Imago

Neue Flüchtlingswelle befürchtet: Sollten die Angriffe der regierungstreuen Kräfte in Idlib intensiviert werden, könnten Hunderttausende Bewohner der Region in Richtung Türkei fliehen – und von dort aus weiter Richtung Europa. «Schon jetzt fliehen viele Zivilisten zur türkischen Grenze, die allerdings geschlossen ist», weiss Seibert. Deshalb will Erdogan eine weitere Eskalation der Kämpfe um jeden Preis verhindern: In seinem Land leben jetzt schon mehr als 3.6 Millionen syrische Flüchtlinge. Erdogan will mit Putin und Rohani deshalb auch über seine Pläne sprechen, weiter östlich im Norden Syriens eine Schutzzone zu errichten. Dorthin könnten syrische Flüchtlinge aus der Türkei zurückkehren, plant Erdogan.

Wenig Sensibilität bei Putin und Rohani: Die Staatschefs Russlands und Irans haben eine andere Agenda als Erdogan – nämlich die Rückeroberung ganz Syriens für Assad. So zeigte sich etwa Rohani im Vorfeld des Gipfels unnachgiebig: Es sei notwendig, dass die Terroristen in Idlib weiterhin bekämpft würden, sagte er. «Putin und Rohani haben auch keine grosse Lust, Erdogan bei seinem Plan einer Sicherheitszone zu unterstützen», ist Seibert überzeugt. Um diese zu verwirklichen, müsse Erdogan vor allem mit den Amerikanern einig werden, welche als Schutzherren der dort federführenden Kurden agieren.

Erdogans Plan nicht aufgegangen: «Erdogan ist mit seiner ursprünglichen Syrienpolitik gescheitert», sagt Seibert. Der türkische Präsident habe auf einen Sturz Assads hingearbeitet und dazu diverse syrische Rebellengruppen unterstützt. Doch diesen Plan hätten vor allem die Russen mit ihrem Eingreifen in den Syrienkrieg vereitelt. Hinzu komme, dass es den Kurden gelungen sei, im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei eine Autonomiezone zu errichten, welche die Türkei als Bedrohung empfinde. «Erdogan hat in Syrien tatsächlich schlechte Karten», so das Fazit des Journalisten

Erdogan droht mit Flüchtlingswelle

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Immer wieder droht der türkische Präsident Erdogan der EU damit, das Flüchtlingsabkommen vom März 2016 platzen zu lassen. Im Rahmen des Abkommens verhindert die Türkei, dass Flüchtlinge und Migranten nach Griechenland und Bulgarien gelangen. Im Gegenzug bezahlt die EU der Türkei mehrere Milliarden Euro, die den syrischen Flüchtlingen im Land zugute kommen.

«Erdogan will mit diesen Drohungen bewirken, dass die Europäer aufwachen – und er will neue Verhandlungen mit der EU für ein Anschlussabkommen», sagt Journalist Thomas Seibert. Denn das Flüchtlingsproblem sei mit dem Abkommen keineswegs dauerhaft gelöst. «Die Drohung Erdogans, das Abkommen zu kündigen ist allerdings Theaterdonner», ist Seibert überzeugt. Denn die Türkei brauche den Vertrag ebenso wie die EU – andernfalls würde sie zum Transitland für Flüchtlinge aus Zentralasien, dem Nahen Osten und Afrika. «Das will Erdogan auf keinen Fall.»

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