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Camouflage im Krieg: Wie der Gegner in die Irre geführt wird
Aus SRF 4 News aktuell vom 10.03.2023. Bild: Inflatech
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Täuschung als Kriegswaffe In der Ukraine kommen auch aufblasbare Panzer zum «Einsatz»

Aufblasbare Panzerattrappen, Raketenwerfer aus Seidenpapier: In der Ukraine hat die Kunst der Kriegslist Hochkonjunktur.

Täuschung ist eine bewährte Militärstrategie – und so alt wie der Krieg selbst. Schon in der Antike wurde sie zur Kunst erhoben. Zumindest, wenn man der Überlieferung glaubt: Im Bauch des Trojanischen Pferds versteckten sich die griechischen Belagerer. Nachts entstiegen sie dem geschenkten Gaul und überrannten die Stadt. Es war das blutige Ende des zehnjährigen Kriegs.

Mauro Mantovani, Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie der ETH Zürich, bricht den Mythos auf die Realität auf dem Schlachtfeld herunter: «In der Kriegstheorie war schon immer klar, dass eine erfolgreiche Strategie auch sogenannte Strategeme, also Kriegslisten, enthalten muss.»

Statue von Sun Tzu im chinesischen Huimin.
Legende: Die Bedeutung der Kriegslist wird schon im Klassiker «Die Kunst des Krieges» des chinesischen Generals und Philosophen Sun Tzu hervorgehoben. Das Buch entstand etwa 500 v. Chr. Bild: Statue von Sun Tzu im chinesischen Huimin. Imago/Imaginechina-Tuchong

Bei Täuschungen gehe es immer darum, die Annahmen des Gegners zu durchkreuzen, erklärt der ETH-Experte. «Sei es die Annahme zur eigenen Stärke oder zu den eigenen Absichten: Der Gegner soll veranlasst werden, eine Fehldisposition seiner Mittel vorzunehmen.»

Hüpfburg-Hersteller produziert «Kriegsmaterial»

Auch im Krieg in der Ukraine wird der Gegner in die Irre geführt. Kiew setzt offenbar immer häufiger auf Attrappen, die den Kugel- und Raketenhagel der Russen auffangen sollen. Eine Firma in Tschechien macht daraus ein Geschäft: Statt Hüpfburgen produziert sie neu aufblasbare Panzerattrappen. Die Auftragsbücher sind voll.

Aufblasbare Militärfahrzeuge der tschechischen Firma
Legende: Geliefert werden die Attrappen der tschechischen Firma an Nato-, EU- und Partnerstaaten. Im Ukraine-Krieg sind aufblasbare Militärfahrzeuge auch auf der russischen Seite bekannt. Inflatech

Die aufblasbaren Kampf- und Schützenpanzer, Raketenwerfer und Tankfahrzeuge sollen gegnerisches Feuer provozieren und den Feind verleiten, um ein Vielfaches teurere Raketen zu verschiessen. «Die Munition soll damit auch nicht an anderen Stellen Menschenleben fordern und Schaden anrichten», sagt Mantovani.

Munitionsmangel auf beiden Seiten

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Legende: Die Verteidigungsministerinnen und -minister der EU-Mitgliedsländer am 7. März in Stockholm. Keystone/AP/Christin Olsson

Je länger der Krieg dauert, umso mehr wertvolle Munition wird verschossen. Der Chef der russischen Wagner-Truppe, Jewgeni Prigoschin, schickt derzeit Drohgebärden an den Kreml: Er fordert, seine Söldner im umkämpften Bachmut mit Munitionsnachschub zu versorgen – ansonsten müssten sie sich zurückziehen.

Angespannt ist die Lage auch auf Seiten der Ukraine. Über Monate diskutierte der Westen, mit welchen hochkomplexen Waffensystemen Kiew unterstützt werden soll. Am EU-Verteidigungsministertreffen vom Mittwoch stand nun aber der akute Munitionsmangel der Ukraine ganz oben auf der Tagesordnung.

Wie gross der Anteil der Attrappen im Ukraine-Krieg gegenüber richtigen Waffen ist, lässt sich schwer abschätzen. Laut Mantovani nimmt er aber mit fortwährender Kriegsdauer zu – auch, weil die Attrappen viel schneller und billiger produziert werden können als echtes Kriegsmaterial.

Gefundenes Fressen für die Propagandisten

Propaganda spielt in jedem Krieg eine gewaltige Rolle. Die Blossstellung eines Gegners, der aufblasbare Panzer mit wütenden Angriffen eindeckt, liefert ihr bestes Futter.

Der ewige Kreislauf der militärischen Innovation läuft in Kriegszeiten beschleunigt ab.
Autor: Mauro Mantovani Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie der ETH

Ans Licht der Öffentlichkeit kommen die militärischen Malheurs aber nur selten. «Wenn eine Attrappe getroffen wurde, gibt es kaum mehr Überreste, die man propagandistisch verwerten könnte», sagt der ETH-Experte. «Und die Gegenseite hat natürlich auch kein Interesse daran, zuzugeben, dass sie sich von einer Attrappe hat täuschen lassen.»

Der Terror von 9/11 als zynische Kriegslist

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Legende: Die ikonischen Twin Tower des World Trade Centers in New York stürzten am 11. September 2001 ein. Keystone/DPA/Hubert Michael Boesl

Als anschauliches Beispiel für die verschiedenen Dimensionen der Täuschung nennt Militärexperte Mantovani die Terroranschläge des 11. September 2001 in den USA. Bei den koordinierten Flugzeugentführungen und nachfolgenden Selbstmordattentaten starben 2996 Menschen – die meisten davon, als zwei der Flugzeuge in die Türme des World Trade Center in New York flogen.

«Den Attentätern gelang es, zu Zeitpunkten und an Orten zuzuschlagen, die die Gegenseite völlig überraschten», sagt Mantovani. «Dies auf eine Weise – nämlich mit Flugzeugen –, mit der die Gegenseite nicht ernsthaft gerechnet hatte.» Die Schadenfreude sei zwar zunächst auf Seiten von Bin Ladens Terrornetzwerks Al-Kaida gewesen, so der ETH-Experte. «Sie verlor danach aber ihre Machtbasis in Afghanistan und wurde später auch als nicht-staatliche Organisation zerschlagen.»

Der Erfolg der Täuschungsversuche hängt dabei massgeblich von den gegnerischen Aufklärungsfähigkeiten ab. Insbesondere die ukrainische Seite setzt laut Mantovani stark auf Aufklärungsdrohnen, um das gegnerische Terrain auszukundschaften. Zudem kommen auf beiden Seiten Wärmebildkameras zum Einsatz. Dem kommen allerdings «intelligente» Attrappen zuvor, die Hitze simulieren können.

Mantovani nennt dies den «ewigen Kreislauf der militärischen Innovation, der in Kriegszeiten beschleunigt abläuft». So wird auch in der Ukraine die Kunst der Kriegslist weiterentwickelt, die schon die antiken Generäle umtrieb.

SRF 4 News, 10.03.2023, 06:50 Uhr;

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