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Töten als Zeitvertreib Verdacht auf Scharfschützentourismus im Bosnienkrieg

Reiche Ausländer sollen in Sarajevo Zivilisten gejagt und dafür viel bezahlt haben. In Italien laufen dazu Ermittlungen.

Während des Kriegs im damaligen Jugoslawien kamen zwischen 140'000 und 170'000 Menschen ums Leben. Viele Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Nun untersucht die Staatsanwaltschaft in Mailand einen besonders grausamen Verdacht: Ausländer sollen dafür bezahlt haben, in Sarajevo auf Zivilisten zu schiessen – als makabrer Zeitvertrieb.

Töten war für sie ein Vergnügen.
Autor: Ezio Gavazzeni Journalist

Den Stein ins Rollen brachte der investigative Journalist Ezio Gavazzeni. Politische oder religiöse Motive schliesst er aus. «Töten war für sie ein Vergnügen», sagt er. Die Täter seien bereit gewesen, dafür hohe Summen zu zahlen.

«Um an einem Weekend in Sarajevo auf Zivilistinnen und Zivilisten zu schiessen, bezahlte man so viel, wie heute in Mailand eine 3-Zimmerwohnung kostet» – also weit mehr als hunderttausend Euro, so Gavazzeni.

Alte Vorwürfe – neue Ermittlungen

Bereits in den 1990er-Jahren berichteten «La Stampa» und der «Corriere della Sera» über das Thema. Damals blieb das Echo gering. Erst der Dokumentarfilm «Sarajevo Safari» des slowenischen Regisseurs Miran Zupanič brachte Bewegung in die Sache. Gavazzeni sah den Film – und begann zu recherchieren.

Es war nicht nur ein Dutzend Psychopaten, sondern es waren viele.
Autor: Ezio Gavazzeni Journalist

Nach seinen Erkenntnissen handelte es sich bei den Schützen um Italiener und andere westliche Staatsbürger. Sie reisten meist über Triest an und wurden von Angehörigen der serbisch-bosnischen Armee unter Radovan Karadžić zu den Hügeln um Sarajevo, Mostar oder Pale gebracht. Von dort aus schossen sie – auch auf Frauen und Kinder.

Einwohner von Sarajevo suchen hinter einem gepanzerten Fahrzeug Schutz.
Legende: Einwohner von Sarajevo suchen hinter einem gepanzerten UNO-Fahrzeug Schutz vor Scharfschützen. Das Foto stammt aus dem Jahr 1993. Reuters/Danilo Krstanovic

«Es war nicht nur ein Dutzend Psychopaten, sondern es waren viele», sagt Gavazzeni. Wegen der hohen Beträge müsse es sich um wohlhabende oder einflussreiche Personen gehandelt haben.

Juristische Aufarbeitung fraglich

Gavazzeni ermittelt seit rund zwei Jahren. Sein Material hat er der Staatsanwaltschaft in Mailand übergeben. Ob es zu einer Anklage kommt, ist ungewiss. Italiens Justiz gilt als langsam.

Trauernde Frau in Kopftuch kniet an einem Grab auf einem grünen Friedhof.
Legende: Der Krieg in Ex-Jugoslawien war äusserst brutal, ihm fielen je nach Schätzung zwischen 140'000 und 170'000 Menschen zum Opfer. Reuters/Amel Emric

Der Strafrechtsprofessor Mitja Gialuz von der Universität Luiss in Rom erklärt: «Weil das vermutete Delikt so schwer wiegt, darf die Mailänder Staatsanwaltschaft ermitteln, selbst wenn die Tat im Ausland begangen wurde.» Italien könne sogar gegen Bürger anderer Staaten Anklage erheben. Eine Verjährung sei ausgeschlossen, «weil sie bei so schweren Delikten nicht greift».

Klage auch aus Sarajevo eingereicht

Sollte es zu einem Prozess kommen, drohten den Tätern lebenslange Haftstrafen. «Für Mord aus niedrigen Beweggründen sieht das italienische Recht lebenslängliche Strafen vor», sagt Gialuz.

Ob fast drei Jahrzehnte nach den Taten genügend Beweise zusammengetragen werden können, bleibt offen. Doch erstmals wird ermittelt – und auch aus Sarajevo selbst ist eine Klage eingereicht worden, von der früheren Bürgermeisterin der Stadt.

Echo der Zeit, 13.11.2025, 18 Uhr

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