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Treffen in Istanbul Wird Putin je zu echten Zugeständnissen bereit sein?

Russland und die Ukraine verhandeln in Istanbul – allerdings ohne ihre Präsidenten. Was Moskau damit bezweckt, wie die Rollen von Trump und Selenski zu deuten sind und weshalb Russland wohl auf Zeit spielt, erklärt Osteuropa-Experte Jeronim Perović im Interview.

Jeronim Perović

Experte für osteuropäische Geschichte

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Als Historiker und Politikwissenschaftler hat sich Jeronim Perović auf Russland und Osteuropa spezialisiert. Seit 2011 ist er Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich.

SRF News: Herr Perović, es wurde gross inszeniert, wer nach Istanbul reist, wer auf wen wartet, wer zuerst dort ist. Wie erklären Sie sich das?

Jeronim Perovic: Es war völlig illusorisch, dass Putin nach Istanbul reisen wird, wenn ihn Selenski dorthin bestellt. Putin sieht sich in einer überlegenen Position und wird sich – falls überhaupt – erst mit Selenski treffen, wenn er die Gewissheit hat, dass er als Sieger hervorgeht, wie auch immer dieser Sieg aussieht. Die Tatsache aber, dass Russland die gleiche Delegation schickte wie vor drei Jahren, heisst, dass sie von den Forderungen, die sie damals schon hatten, nicht abgerückt sind. Und das sind Maximalforderungen.

Wie sieht die Verhandlungsstrategie von Russland aus?

Die Verhandlungsstrategie von Russland ist, dass sie jetzt eine eher technische Delegation schicken auf relativ tiefem Niveau, um einfach mal gegenüber Trump und der Welt zu signalisieren: Wir sind friedenswillig. Aber wir haben es nicht eilig, etwas zu unterzeichnen, bevor die Ursachen des Problems nicht gelöst sind: Die Ukraine soll nicht in die Nato, das Militär soll reduziert werden und die Ukraine muss Gebiete abtreten. Solche Verhandlungen können sich über Monate erstrecken.

Was sehen sie bei der Ukraine für eine Strategie?

Sie wollen vor allem einen Waffenstillstand erreichen, einen 30-tägigen, um sich auf Verhandlungen einlassen zu können. Russland wird sich darauf nicht einlassen, weil sie sich momentan auf dem Schlachtfeld im Vorteil sehen. Das heisst: Hier sind zwei sehr unterschiedliche Ausgangslagen im Raum.

Dass Selenski im Vorfeld des Treffens gesagt hat, er sei dort, er warte auf Putin. War das taktisch schlau?

Diese Inszenierung war derart durchschaubar, dass ich nichts Positives daran sehe. Es scheint mir auch kein professionelles Verhalten zu sein.

Wäre Putin Trump nach Istanbul gefolgt?

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Was wäre gewesen, wenn Donald Trump nach Istanbul gereist wäre und Putin aufgefordert hätte, ebenfalls zu kommen?

Perović: «Das hätte nicht funktioniert und das hat Trump auch gewusst. Er hätte sich blossgestellt. Vermutlich hätte Putin Nein gesagt oder gesagt, ich komme in zwei Tagen, du musst warten – eine sehr unangenehme Situation, worauf sich Trump nie hätte einlassen können.»

Aber was ist denn die Idee von Selenski gewesen?

Die Idee war, dass Selenski Putin blossstellt, dass die ganze Welt sieht, dass Putin derjenige gewesen wäre, der gar keinen Frieden will. Aber Putin hat sich darauf gar nicht eingelassen und sich nicht zu Wort gemeldet.

Also auf das Blossstellen reagiert Putin gar nicht.

Die Idee, dass man auf Russland Druck ausüben kann, Putin zu zwingen, etwas zu machen, was er nicht als seinen Interessen entsprechend sieht, ist illusorisch. Auch die Androhung, dass, wenn er am [letzten] Montag nicht einen Waffenstillstand erklärt, weitere Sanktionen kommen, hat in den letzten drei Jahren nicht funktioniert und wird auch jetzt nicht funktionieren.  

Wie bewerten Sie die Drohung der EU?

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Perović: «Russland ist heute das meist sanktionierte Land der Welt. Natürlich schmerzen die Sanktionen, aber nicht so sehr, dass sie diesen Krieg einstellen würden. Weitere Sanktionen sind zwar möglich, das ist nicht im Interesse von Russland, aber das wird nicht ausschlaggebend sein, weil sie immer Wege um die Sanktionen herum gefunden haben – vor allem, was den Erdölhandel betrifft.»

Aber worauf reagiert denn dieses Land, dieser Anführer?

Man sagt, sie reagieren nur dann, wenn sie auf Gegner treffen, die stark genug sind, dem Einhalt zu bieten. Das ist bis jetzt nicht der Fall. Bis jetzt läuft es sehr nach der Regie Moskaus. Sie verhandeln, sie zeigen guten Willen, sie spielen auf Zeit, irgendwann treffen sich vielleicht einmal Putin und Trump und entscheiden irgendetwas. Dann kommen die Ukrainer noch mehr unter Druck.

Ist bei Russland ein Wille da, den Verhandlungsweg weiterzugehen bis zu einer friedlichen Lösung?

Russland hat durchaus Interesse, dass dieser Krieg irgendwann endet. Sie können diesen Krieg nicht ewig aufrechterhalten. Aber durch diese aktuelle Dynamik fragen sich die Russen auch: Was bekommen wir im Gegenzug – Stichwort Territorien, keine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, Aufhebung der Sanktionen. Sie werden jetzt versuchen, ihre – derzeit stärkere – Position zu ihrem maximalen Nutzen auszuspielen.

10vor10, 16.05.2025, 21:50 Uhr ; 

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