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Türkisch-israelischer Gipfel Was verspricht sich die Türkei von einer Annäherung an Israel?

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel waren jahrelang feindlich. Nun trifft der türkische Präsident Erdogan in Ankara auf den israelischen Staatspräsidenten Herzog.

Es ist der erste Besuch eines israelischen Staatspräsidenten in der Türkei seit 15 Jahren. Erdogan spricht von einer neuen Ära der türkisch-israelischen Beziehungen. Als «Ende der Sprachlosigkeit» bezeichnet der freie Journalist Thomas Seibert das Treffen. Die Staaten wollen sich annähern, hoffen wieder auf ein Miteinander statt ein Gegeneinander.

Isaac Seibert hält eine Rede.
Legende: Am Mittwoch wird Israels Präsident Isaac Herzog in der Türkei erwartet. Keystone/Tsafrir Abayov

Geplant war der Besuch schon seit Längerem. Es habe in den vergangenen Wochen sehr viele Kontakte auf Ministerebene, Beraterebene und Spitzenebene gegeben, weiss der Journalist in Israel. «Der Ukraine-Krieg verlangt von diesem Besuch eine neue Dimension. Beide Staaten sind dabei, sich als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland anzubieten.»

Worum geht es im Kern?

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Abdullah Gül und Shimon Peres nehmen die Ehrengarde ab anlässlich eines Besuchs in Ankara.
Legende: Damals war alles noch in Ordnung: der damalige türkische Präsident Abdullah Gül (links) und Shimon Peres 2007 in Ankara. imago images

«Die Türkei und Israel waren traditionelle Partner. Die Türkei war das erste muslimische Land, das Israel 1949 anerkannte. Lange Zeit waren die beiden sehr enge Partner der USA im Nahen Osten. Sie waren sozusagen von den Amerikanern als Vorposten des Westens im Nahen Osten gedacht. Es gab gemeinsame Militärmanöver», erklärt Thomas Seibert. Die Länder hätten besonders im sicherheitspolitischen Bereich sehr eng zusammengearbeitet.

«Beim letzten Besuch eines israelischen Präsidenten in der Türkei im Jahr 2007 war alles in bester Ordnung. Damals sprach Schimon Peres vor dem türkischen Parlament. Es war die erste Rede eines israelischen Präsidenten vor dem Parlament eines muslimischen Staates. Dann kam der Bruch.»

Der israelische Krieg im Gazastreifen sei ein grosser Faktor gewesen, so Seibert. «Erdogan warf Israel Staatsterrorismus vor, rückte immer weiter von Israel ab. Im Jahr 2010 erschossen israelische Soldaten zehn türkische Aktivisten auf einem Schiff, das Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen sollte. Erdogan hofierte die Hamas, die Todfeinde von Israel. Botschafter wurden aus dem Land geworfen und vor laufenden Kameras öffentlich gedemütigt. Deswegen ist das heute so ein wichtiger Tag, weil es einen Neuanfang geben soll in den Beziehungen.»

In den vergangenen Jahren hat sich die Türkei in der Region sehr isoliert, sie fuhren eine aggressive Aussenpolitik. Das hätten Erdogan und die türkische Regierung eingesehen, sagt Seibert. «Seit einiger Zeit versucht Erdogan, das zu ändern. Er streckt die Fühler in alle möglichen Richtungen aus.» Da sind beispielsweise die Vereinigten Arabischen Emirate, Armenien, Ägypten – und auch Israel.

Wirtschaft im Fokus

Dabei gehe es um die Wirtschaft, nicht nur um Politik und Partnerschaften. «Die türkische Wirtschaft durchlebt eine schwere Krise, braucht neue Investitionen und neue Geldgeber. Und Israel hat bisher mehr reagiert als agiert in dieser Bewegung.» Trotz allem Misstrauen gegenüber Erdogan sei Israel bereit, diesem neuen türkischen Kurs eine Chance zu geben.

Das ist für Erdogan wichtig. Denn Israel hat grosse Erdgasvorräte vor der Küste entdeckt. Die Türkei kauft ihr Gas bisher vorwiegend in Russland, was im Moment zu Turbulenzen führen kann. «Neue Gaslieferanten sind immer willkommen», sagt der Journalist in Israel dazu. Dazu komme die geografische Nähe.

Es gehe aber auch um den grösseren politischen Rahmen. «Eine andere wichtige Nation, mit der sich Erdogan in den letzten Jahren überworfen hat, sind die USA. Ein besseres Verhältnis der Türkei zu Israel würde auch helfen, die Beziehungen der Türkei zu den USA zu reparieren.»

Gemeinsamkeit: Versuch um Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg

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Beide Länder haben enge Kontakte sowohl zur Ukraine als auch zu Russland. Sie wollen beide eine Vermittlerrolle einnehmen. Der israelische Ministerpräsident Bennett war am Wochenende bei Putin. Er telefoniere ständig mit Putin und auch Selenski. Erdogan mache es ähnlich, sagt Seibert. Er war Anfang Februar, kurz vor Kriegsausbruch noch in Kiew bei Selenski. Morgen sollen sich die Aussenminister von der Ukraine und Russland in der Türkei treffen.

Diese Vermittlungsversuchsbemühungen laufen laut Thomas Seibert im Moment parallel, aber verfolgen im Grunde genommen dasselbe Ziel: einen sofortigen Waffenstillstand. «Beide arbeiten mit Russland zusammen. Diese Drähte werden jetzt genutzt, um zu versuchen, diesen Krieg in der Ukraine zu Ende zu bringen.»

Die geopolitischen Karten haben sich in den letzten Jahren und noch intensiver in den letzten Monaten sehr verändert. Angesichts dieser Veränderungen sieht Thomas Seibert den Besuch nur als einen ersten Schritt. «Ein wichtiger erster Schritt. Aber die Kontakte in den nächsten Wochen und Monaten müssen das Ganze mit Substanz füllen.» 

Der Anfang wird heute gemacht.
Autor: Thomas Seibert Freier Journalist, Israel

Herzog sei ein Staatspräsident, der von seiner Funktion her eher zeremonielle Aufgaben hat. «Er kann den Ton setzen. Er kann allerdings nicht an einem Tag oder an einem zweitägigen Besuch alle Streitpunkte aus dem Weg räumen. Dafür gibt es zu viel Misstrauen. Dafür gibt es zu viele Baustellen zwischen den beiden Ländern. Aber der Anfang wird heute gemacht.»

SRF 4 News, 09.03.2022, 06:45 Uhr ; 

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