Die Vorwürfe gegen die EU-Grenzschutzbehörde Frontex, sie dulde, dass Migranten und Flüchtlinge im Balkan gewalttätigen Übergriffen durch Grenzbehörden ausgesetzt seien, überraschen den Migrationsforscher Gerald Knaus nicht.
Die Bilder der Gewalt seien im Gegenteil sogar erwünscht, um weitere Menschen davon abzuhalten, es ebenfalls zu versuchen, nach Westeuropa zu gelangen.
SRF News: Wie überraschend sind die neusten Berichte über Menschenrechtsverletzungen, die an den EU-Aussengrenzen passieren?
Gerald Knaus: Worum es hier geht, ist ein Theater. Es ist bekannt, dass es Migranten und Flüchtlingen, die es nach Bulgarien und Griechenland schaffen, meist auch gelingt, den Westbalkan zu erreichen. Doch man versucht, es ihnen so schwer wie möglich zu machen. Dabei sind die Bilder und Nachrichten über Misshandlungen an den Grenzen wahrscheinlich gewünscht. So sollen Migranten, die noch nicht im Balkan sind, davon abgehalten werden, sich dahin aufzumachen. Das ist das Kalkül – weil es nicht gelungen ist, eine bessere Strategie zu finden.
Funktioniert diese Strategie der Abschreckung, die von einigen Politikern durchaus gewünscht ist?
Grundsätzlich gilt: Wer Griechenland erreicht hat, schafft es auch nach Deutschland. Die Frage ist, wie schwer man es den Leuten macht. Man kann ihnen Leiden zufügen, sie schlagen. Doch letztendlich werden sie dadurch nicht davon abgehalten, nach Deutschland zu gelangen, denn es gibt ja keinen undurchdringlichen Zaun. Man könnte meinen, die Anstrengungen der Grenzbehörden seien sinnlos – doch das sind sie in ihren Augen nicht. Denn offensichtlich geht es vor allem darum, diese abschreckenden Bilder zu produzieren.
Die EU kann europäische Standards nur in Kooperation mit den Nachbarstaaten sicherstellen.
Tatsächlich bräuchte Europa eine realistische Strategie, die anerkennt, dass jemand, der es nach Bosnien oder Kroatien geschafft hat, nach Westeuropa weiterzieht. Die wahren Aussengrenzen Europas verlaufen zwischen Griechenland und der Türkei sowie Bulgarien und der Türkei. Hier kann man nur in Kooperation mit den Nachbarn europäische Standards sicherstellen: Wenn eine aufgegriffene Person einen Asylantrag stellt, darf sie nicht mehr zurückgeschafft werden.
Wo liegen Lösungen für die von Ihnen beschriebenen Probleme?
Grundsätzlich gibt es keine einfachen Lösungen – aber man kann gewisse Dinge verbessern. So sollte Frontex bei Abschiebeflügen viel stärker darauf achten, dass das Recht nicht gebrochen wird. Ich hoffe doch, dass es in Brüssel viele Politiker und Beamte gibt, die in der Umsetzung europäischer Gesetze einen Wert sehen.
Es braucht schnelle, reguläre Asylverfahren sowie Übereinkünfte mit den Herkunftsländern.
Doch am Grundproblem, dass die EU mit Gewalt und Abschreckung versucht, Menschen davon abzuhalten nach Europa zu kommen, werden Verbesserungen bei Frontex nichts ändern. Was es bräuchte, sind schnelle, reguläre Asylverfahren sowie Übereinkünfte mit den Herkunftsländern, damit jene Gesuchsteller, die keinen Schutz brauchen, schnell zurückgeschickt werden können.
Das Gespräch führte Roger Aebli.