Reden ist Silber, heisst es, und Schweigen ist Gold. In der Ukraine-Diplomatie achten die europäischen Staats- und Regierungsoberhäupter gerade besonders genau darauf, worüber sie reden – und worüber sie besser schweigen.
Schliesslich ist ihre Lage, eingeklemmt zwischen den USA unter Präsident Donald Trump und Russland unter Präsident Wladimir Putin, so ungemütlich wie nie zuvor. Das zeigte sich am heutigen Gipfeltreffen der sogenannten E3 – Frankreich, Grossbritannien, Deutschland – mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in London.
Kein Kommentar zur US-Sicherheitsstrategie
Der französische Präsident Emmanuel Macron liess verlauten, man wolle «die gemeinsame Arbeit am amerikanischen Friedensplan für die Ukraine fortsetzen, um ihn durch europäische Beiträge zu ergänzen».
Unkommentiert liess Macron die neue Nationale Sicherheitsstrategie, welche die USA vor vier Tagen veröffentlicht hatten. Dabei hat es das 29-seitige Dokument in sich: Europa stehe wegen ökonomischer, demographischer und kultureller Fehlentwicklungen vor der «zivilisatorischen Auslöschung», mit Russland hingegen müssten die USA «strategische Stabilität» erlangen.
Die Strategie ist der zu Papier gewordene Stinkefinger Trumps gegen die Europäer. Und er stellt die bisherige europäische Ukraine-Diplomatie infrage.
Kein Plan vom Kriegsende
Die Europäer haben nie versucht, sich gegen die USA zu stellen. Deren Verhandlungsführung und Vorschläge kritisierten sie, wenn überhaupt, im Flüsterton.
Denn für lautstarken Widerspruch sind die Europäer politisch und auch militärisch zu schwach. Noch dazu fehlt es ihnen noch immer an einem ernstzunehmenden Plan, wie Russlands Krieg gegen die Ukraine zu Ende gebracht werden könnte.
Wenigstens gelang es den E3 und anderen europäischen Staaten immer wieder, Einfluss auf die USA zu nehmen. Sie lobbyierten dafür, dass Selenski in die Verhandlungen miteinbezogen wird und dass gewisse Zugeständnisse an Russland aus einem ursprünglichen amerikanischen Plan gestrichen wurden.
Einfluss ohne Gewähr
Freilich macht die neue Nationale Sicherheitsstrategie schwarz auf weiss klar, wie wenig Donald Trump von den Europäern hält. Und dass die Europäer jederzeit damit rechnen müssen, ihren beschränkten Einfluss auch noch zu verlieren.
So kommentierte heute auch der deutsche Kanzler Friedrich Merz nicht die neue Strategie, sondern ausschliesslich die Verhandlungen zwischen den USA, Russland und der Ukraine. «Gegenüber einigen Details» bleibe er skeptisch. Dem Vernehmen nach geht es noch immer um die Frage, welche ukrainischen Gebiete nach einem Friedensschluss unter russischer Kontrolle blieben – und welche Sicherheitszusagen die Ukraine dafür bekäme.
Eine Frage der Geduld
Für Macron und Merz stellt sich aber dringlicher denn je noch eine ganz andere Frage: Finden die Europäer überhaupt noch Trumps Gehör? Oder hat der die Geduld vollends verloren?
Sollte es tatsächlich irgendwann zu einem Ukraine-Deal kommen, stehen die Chancen, dass er im Sinne der Europäer ausfällt, zurzeit so schlecht wie noch nie seit Beginn der russischen Grossoffensive gegen die Ukraine.