Aktuell dürfen wehrtüchtige Männer über 18 Jahren nicht aus der Ukraine ausreisen. Eingezogen werden dürfen sie aber erst ab 25 Jahren. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat die Regierung nun angewiesen, die Ausreise für junge Männer zwischen 18 und 22 Jahren zu erleichtern. Was sich Selenski davon erhofft, erklärt SRF-Auslandredaktorin und Ukraine-Expertin Jessica Kobler im Q&A zur geplanten Lockerung des Ausreiseverbots.
Was hat es mit dem Ausreiseverbot auf sich?
Seit Kriegsbeginn 2022 gilt: Männer, die zwischen 18 und 60 Jahre alt sind, dürfen das Land nicht verlassen. Diese Regel trat im Rahmen des Kriegsrechts in Kraft. Es soll sicherstellen, das genügend Soldaten für die Verteidigung gegen Russland verfügbar sind. Abgesehen davon, dass es natürlich illegale Ausreisen an der Grenze gibt, hat das Gesetz dazu geführt, dass viele Minderjährige mit ihren Familien geflüchtet sind, im Ausland volljährig geworden sind und jetzt eigentlich nicht mehr zurück in die Ukraine können. Sie haben Angst, dass sie nicht mehr ausreisen dürfen und irgendwann vielleicht sogar in die Armee eingezogen werden.
Warum sollen junge Männer jetzt wieder ausreisen dürfen?
Es sind vor allem demographische Sorgen, die der geplanten Ausreiseerleichterung vorausgehen. Da junge geflüchtete Ukrainer aus Angst vor dem Kriegsdienst nicht mehr ins Land zurückkommen und gleichzeitig viele an der Front sterben, droht der Verlust einer ganzen Generation. Man darf nicht vergessen, dass die Ukraine neben dem Krieg auch wirtschaftlich weiterfunktionieren muss. Es gibt viele systemrelevante Stellen, die nicht besetzt werden können, weil die jungen Männer fehlen. Viele studieren auch gerade wegen des Krieges im Ausland. Kommen sie später nicht mehr zurück, fehlt der Ukraine Know-How, auch für eine etwaige Nachkriegszeit. Die Massnahme soll jungen Ukrainern helfen, ihre Bildungs- und Lebenswege mit der Ukraine verbunden zu halten.
Das ukrainische Parlament diskutiert dieses Thema bereits seit Wochen. Der Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk argumentiert, Männer unter 25 sollen weiterhin das Recht auf Bildung, Arbeitsmöglichkeiten und Familienbesuche im Ausland haben.
Droht bald die Zwangsmobilisierung?
Beim neuen Gesetz geht es nicht primär darum, junge Männer zurück in die Ukraine zu locken, um sie dann später zum Kriegsdienst zu zwingen. Denn Selenski ist grundsätzlich dagegen, noch jüngere Männer an die Front zu schicken. Er betont immer wieder vor den Medien, dass er nicht bereit ist «die nächste Generation zu opfern». Ausserdem ist der Einzug von besonders jungen Männern bei der ukrainischen Bevölkerung unpopulär.
Die Senkung des Mobilisationsalters ist aber auch nicht ausgeschlossen. Letztes Jahr wurde sie von 27 auf 25 Jahre gesenkt, denn an der Front sterben ukrainische Soldaten, andere sind müde und werden nicht abgelöst. Es gibt Mobilisierungsengpässe. Neu dürfen etwa auch über 60-Jährige freiwillig in die Armee, das konnten sie vorher nicht. Es gab Massnahmen, wie man im Ausland lebende Ukrainer im Kampfalter zur Mobilisierung bewegen könnte. Das alles zeigt: Die Ukraine braucht mehr Soldaten. Geht der Krieg weiter und werden die Engpässe grösser, muss Selenski irgendwann vielleicht die unpopuläre Entscheidung treffen und das Mobilisationsalter wieder senken.
Ob ein neues Gesetz wirklich in Kraft treten wird und welche Kriterien für eine Ausreise wirklich gelten sollen, bleibt vorerst unklar.