Das Misstrauen gegenüber klassischen Medien ist bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland gross: Dies zeigt eine von der Universität Bielefeld durchgeführte Studie . Etwa Dreiviertel der Befragten misstrauen demnach den Zeitungen und Medienschaffenden. Befragt wurden über 1500 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 16 Jahren. Studieneiter Holger Ziegler sieht Handlungsbedarf.
SRF News: Sie sind durch die Studie alarmiert. Warum?
Holger Ziegler: Es ist für Medien und auch für andere Institutionen wichtig, dass die Bevölkerung ihnen zumindest ein Basisvertrauen entgegenbringt. Im Vergleich zu älteren Studien sind die Vertrauenswerte bei Kindern und Jugendlichen, die wir erfasst haben, wirklich schlecht.
Eine gesunde Skepsis sei in der Pubertät üblich, stellen Sie fest. Gefährlich werde es, wenn diese in einen Verschwörungsglauben kippt. Wo liegt die Grenze?
Die Grenze ist fliessend. Ich muss ja nicht alles glauben, was die Politik, die Medien und die Institutionen mir erzählen. Nur: Wenn ich der Meinung bin, dass hinter allem, was in den Medien steht, etwas anderes steckt, das mir vorenthalten wird, und man damit versucht, mir Fehlinformationen zu liefern, geht das über eine kritische Prüfung hinaus.
Wie hängt das mit dem Medienkonsum zusammen?
Wenn Kinder und Jugendliche keine öffentlich-rechtlichen Medien konsumieren, keine Zeitung lesen, sondern ihre Informationen hauptsächlich oder ausschliesslich aus sozialen Netzwerken beziehen, ist die Neigung zu Verschwörungsglauben erkennbar stärker ausgeprägt.
Und oft sind auch die Eltern eher skeptisch gegenüber Behörden und Medien.
Soziale Medien können verstärken, dass es andere Deutungen gibt; ich nenne es mal «alternative Wahrheiten». Hinzu kommt, dass es oft junge Menschen sind, die subjektive Erfahrungen von Ungerechtigkeit mit Einrichtungen und Situationen machen. Und oft sind auch die Eltern eher skeptisch gegenüber Behörden und Medien.
Die Befragten vertrauen der Wissenschaft mehrheitlich, ebenfalls der Polizei, nicht aber der Politik. Warum?
Gute Frage. Vielleicht liegt es an der Glaubwürdigkeit. Vielleicht liegt es daran, dass es sehr unterschiedliche Meinungen dazu gibt, die im politischen Spektrum vertreten werden. Das Vertrauen in die Politik ist sehr gering. Und auch jenes in andere Institutionen ist erschreckend niedrig.
Etwa die Hälfte gab an, zu vermuten, wenn sie jemandem vertrauten, würden sie ausgenutzt. Knapp 40 Prozent attestieren Leuten schlechte Absichten. Wie kommt das?
Es gibt sehr deutliche Hinweise, dass das Misstrauen aus der Erfahrung von eigener Verwundbarkeit, eigener Schwäche kommt. Das sind auch Kinder und Jugendliche, die nicht aus den ökonomisch stärksten Elternhäusern kommen.
Die Schweiz (...) galt vor wenigen Jahren noch als ‹High Trust Country›.
Das Gefühl, dass die eigenen Perspektiven, Interessen und Bedürfnisse hintanstehen, ist genau bei diesen Jugendlichen relativ weitverbreitet.
Lassen sich die Resultate auf die Schweiz anwenden?
Es dürfte ähnliche Tendenzen geben. Die Schweiz, noch stärker als Deutschland, galt vor wenigen Jahren noch als «High Trust Country»; ein Land, in dem die Menschen den Institutionen, Medien und Einrichtungen in überproportional hohen Masse traut. Zumindest für Deutschland ist es schwer zu sagen, ob diese Einordnung noch stimmt. Wenn dieses Vertrauen bröckelt, gibt es tatsächlich ein Problem.
Sehen Sie Handlungsbedarf?
Wir wissen, dass wenn die Kinder die Erfahrung gemacht haben, miteinbezogen zu werden und ernst genommen zu werden, das Vertrauen in Medien und Institutionen insgesamt höher ist. Da sehe ich Handlungsbedarf.
Das Gespräch führte Noëmi Gradwohl.