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Luuk van Middelaar: «EU muss sich der Ereignispolitik zuwenden»
Aus Echo der Zeit vom 19.05.2021. Bild: Printscreen youtube
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Umgang mit der Corona-Pandemie «Die EU ist nicht für unerwartete Ereignisse gerüstet»

Die EU war während der Corona-Pandemie überfordert. Sie hat zu lange gezögert und zu wenig gekämpft. Zu dem Schluss kommt der Experte für Europapolitik Luuk van Middelaar im Buch «Das europäische Pandämonium».

Luuk van Middelaar

Luuk van Middelaar

Historiker und politischer Theoretiker

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Luuk van Middelaar ist Professor für EU-Recht an der Universität Leiden. Von 2009 bis 2014 war er Redenschreiber und Berater von Herman van Rompuy, dem Präsidenten des Europäischen Rates. Seit 2018 ist er Mitglied des niederländischen Beirats für internationale Angelegenheiten und Vorsitzender der Kommission für europäische Integration.

SRF News: Sie schreiben, die EU habe in der Pandemie versagt. Wieso?

Luuk van Middelaar: Einen Grund konnte man bei fast allen Mitgliedstaaten feststellen. Man hat die Gefahr unterschätzt, die vom Coronavirus ausgeht. Doch es gibt einen zweiten Grund, der direkt mit dem Wesen der EU zusammenhängt, mit der Organisation an sich. Und zwar: Selbst als man die Gefahr erkannt hatte, war sie nicht in der Lage, ihre Abläufe, ihre Arbeitsweise zu beschleunigen und alles zu tun, um das Virus unter Kontrolle zu bringen.

Warum nicht?

Wenn wir uns die Geschichte der EU anschauen, wird klar, dass sie für Friedenszeiten entworfen wurde. Sie ist zum Beispiel in der Lage, einen internen Markt aufzubauen, Regeln zu formulieren. Aber um mit Gefahren umzugehen, mit unerwarteten Ereignissen, dafür ist sie nicht ausgerüstet.

Um mit Gefahren umzugehen, mit unerwarteten Ereignissen, dafür ist die EU nicht ausgerüstet.

Etwas hat sie zwar dazugelernt im letzten Jahrzehnt, etwa mit der Euro- und der Migrationskrise. Aber die Pandemie hat die EU knallhart damit konfrontiert, dass sie mit solchen Ereignissen nicht gut umgehen kann.

Die EU wurde also für stabile Zeiten konstruiert?

Genau. Und das verlangt von ihr, von ihrer «Regelpolitik» abzukommen und sich der «Ereignispolitik» zuzuwenden. Sie muss fähig sein, solche Ereignisse zu bewältigen. Denn: EU-Politik ist oft eher langweilig. Und sie ist langsam. Aber wenn Sie mit geopolitischen Konflikten konfrontiert sind, mit Russland oder China, wenn Sie ein Land vor dem Bankrott retten müssen, oder eben jetzt, mit dieser Pandemie, dann können Sie nicht jahrelang verhandeln in irgendwelchen Büros in Brüssel. Dann müssen Sie handeln.

Als Spanien und Italien zuerst keine Hilfe gewährt wurde, war das ein ziemlich schlechtes Zeichen.

Das lernt die EU jetzt. Die erste Reaktion aus Brüssel war: Das ist eine Gesundheitskrise, dafür sind wir nicht zuständig, das ist Sache der Mitgliedsstaaten. Doch dann kamen Hilfeschreie aus Italien und Spanien. Und als zuerst keine Hilfe gewährt wurde, war das ein schlechtes Zeichen.

In den Ländern im Süden Europas entstand nicht zum ersten Mal der Eindruck, man werde alleine gelassen. Gibt es eine Zweiklassengesellschaft innerhalb der EU?

Ich würde mich etwas vorsichtiger ausdrücken. Es stimmt, dass Italien von der Finanz- und der Migrationskrise sehr hart getroffen wurde – und jetzt von der Pandemie. Aber aus meiner Sicht ist das eher ein Zufall. Und das wurde international ja auch so anerkannt, zumindest nach ein paar Monaten. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte ganz klar: Italien trifft keine Schuld. Und dann wurden ja auch grosszügige Hilfsgelder gesprochen.

Und doch hatte die EU Mühe, in die Gänge zu kommen. Was heisst das für künftige Krisen? Muss sich die EU neu organisieren?

Ja, ich halte es für wichtig, dass die EU aus diesen Erfahrungen lernt. Einerseits braucht es institutionelle Veränderungen. Aber was ich noch fast wichtiger finde, ist eine veränderte Haltung. Bei der nächsten Pandemie müsste die EU erkennen: Es ist, als befänden wir uns im Krieg.

Wir können nicht einen Vertrag für einen Impfstoff unterschreiben und erwarten, dass er pünktlich geliefert wird.

Wir können uns nicht verhalten wie in einer normalen Lage. Wir können nicht einen Vertrag für einen Impfstoff unterschreiben und erwarten, dass er pünktlich geliefert wird – in Kriegszeiten läuft das nicht so. Es geht um Macht, um Tempo, um Handlungsfähigkeit. Das war aus meiner Sicht einer der Tiefpunkte der EU-Politik in dieser Krise: Die Verzögerungen beim Impfen, gerade im Vergleich mit den USA und mit Grossbritannien.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

Echo der Zeit, 19.05.2021, 18:00 Uhr;

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